Der nasskalte Frühling in der Schweiz verzögert die Alpaufzüge

In der Landwirtschaft spitzt sich die Situation wegen des nasskalten Frühlings zu: Die Bergbauern klagen unter anderem über Knappheit beim Heu und Verzögerungen beim Alpaufzug. Negative finanzielle Folgen für die Älpler sind nicht ausgeschlossen.

Ein Löwenzahn blickt unter dem Schnee hervor (Bild: sda)

In der Landwirtschaft spitzt sich die Situation wegen des nasskalten Frühlings zu: Die Bergbauern klagen unter anderem über Knappheit beim Heu und Verzögerungen beim Alpaufzug. Negative finanzielle Folgen für die Älpler sind nicht ausgeschlossen.

«Wir haben eine Ausnahmesituation», sagte Alpwirtschaftsberater Martin Jutzeler auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda. Die Alpaufzüge seien um vier bis zehn Tage verzögert. Es handle sich um ein generelles Problem. «Fast überall in der Schweiz findet dieses Jahr eine spätere Alpfahrt statt.»

In den höhergelegenen Regionen liege derzeit noch viel Schnee, hielt Jutzeler fest. «Das kommt in anderen Jahren einen Monat früher vor.» So viel Schnee Ende Mai sei doch sehr speziell. «Viele Leute sagten mir, dass sie so etwas noch nie erlebt haben.»

Die Folgen sind schwerwiegend: Weil die Bauern mit ihren Tieren länger im Tal bleiben müssen, wird mehr Gras verbraucht, die Reserven schwinden. «Das Heu beim einen oder anderen Bauern wird sicherlich langsam knapp.» Dieses Gras fehle dann auch für den kommenden Winter.

«Bei schlechtem Sommerwetter wird es kritisch»

Laut Jutzeler kann ein guter Sommer die Verspätung beim Alpaufzug zwar etwas relativieren. «Ganz wettmachen kann das Wetter diesen Rückstand aber nicht.» Komme der Winter dieses Jahr früh, werde es kritisch. Die diesjährige Situation mit dem späten Alpaufzug und der damit verbundenen kürzeren Alpzeiten sei tatsächlich eine Herausforderung.

«Normalerweise finden die Alpaufzüge zwischen dem 25. Mai und dem 30. Juni statt. Dieses Jahr erwarten wir eine Verzögerung von mindestens einer Woche», sagte auch Jean-Jacques Zufferey, Chef des Amts für Viehwirtschaft des Kantons Wallis, auf Anfrage. Alpen in höheren Lagen könnten sogar erst zwei Wochen später als üblich bewirtschaftet werden.

Etwas weniger dramatisch sieht es der Schweizerische Alpwirtschaftliche Verband. «Im Moment ist die Witterung noch kein Problem», sagte Geschäftsführer Jörg Beck der sda. Gewisse Verzögerungen würden von den Bauern einberechnet.

Trotzdem ist auch für Beck klar: «Der Weidegang wird sich verzögern.» Werde das Wetter in den nächsten drei Wochen nicht besser, könne es happig werden.

Vielschichtige Folgen

Die Verzögerung bringt die Bewirtschaftung der Weiden durcheinander. Auch können verschiedene Produkte erst später produziert werden. So erwartet Zufferey im Kanton Wallis etwa einen Mengenrückgang bei der Käseproduktion.

Die Verschiebung von vielen Alpaufzügen hat auch finanzielle Folgen: Wenn den Tieren auf der Alp weniger Futter in Form von Gras zur Verfügung stehe, habe dies auch Auswirkungen auf die Produktion, sagte Jutzeler. «Weniger Futter bedeutet weniger Milch, was wiederum eine kleinere Käseproduktion zur Folge hat.»

Die Älpler verdienen also im Endeffekt weniger. Jutzeler gibt aber zu bedenken, dass von den Bauern gewisse Schwankungen einkalkuliert würden. Wie viel Einbussen die Bauern wegen des kürzeren Alpsommern hinnehmen müssten, sei zudem von Betrieb zu Betrieb sehr unterschiedlich. Auch laut Zufferey ist es schwierig, die finanziellen Folgen abzuschätzen.

Laut Jutzeler werden gesamtschweizerisch jährlich im Durchschnitt 600’000 bis 650’000 Tiere «z’Alp» gebracht. Dazu gehören Kühe, Mutterkühe, Rinder, Kälber, Pferde, Schafe, Ziegen und Schweine. Die Alpabzüge finden jeweils spätestens Ende September statt.

Umgekehrte Vorzeichen

Während die Alpsaison dieses Jahr besonders kurz ausfallen dürfte, war es in der jüngeren Vergangenheit oft genau umgekehrt. Vor zwei Jahren hatte der warme Frühling dazu geführt, dass Rinder, Schafe und andere Alptiere sieben bis zehn Tage früher auf die Alp ziehen konnten als üblich.

Der Schnee war wegen des warmen Wetters früher abgeschmolzen und hatte das Gras spriessen lassen. In den Urner Bergen war das Graswachstum Ende Mai selbst in den Hochalpen fortgeschritten.

Auch im Jahr 1996 profitierte die Alpwirtschaft vom Vegetationsvorsprung. Die Alpsömmerung hatte damals so früh begonnen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die warmen Tage von Ende Mai und Anfang Juni hatten das Gras in der Höhe wachsen lassen, sodass bereits ein Grossteil der Alpen zum meteorologischen Sommeranfang bestossen war.

Dagegen herrschten in den Jahren 1999, 2005 und 2006 ähnliche Bedingungen wie dieses Jahr.

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