Der Ölpreis befindet sich im freien Fall: Erstmals seit fast sechs Jahren kostet die wichtige Nordseesorte Brent weniger als 50 Dollar pro Fass. Die Sorte wurde am Mittwoch zeitweise bei 49,66 Dollar je Fass gehandelt, das US-Öl WTI bei 46,83 Dollar je Barrel.
Die Stimmung an den Rohölmärkten sei so schlecht wie seit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise nicht mehr, sagt NordLB-Analyst Frederik Kunze. Seit Juni verbilligte sich Brent um mehr als die Hälfte und kostet inzwischen wieder so wenig wie zuletzt im Frühjahr 2009, als der Welthandel nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers kollabiert war.
Experten befürchten einen weiteren Preisverfall. «Die Marke von 40 US-Dollar je Barrel ist (…) für Brent ein zunehmend wahrscheinliches Szenario», sagt Kunze. Nobuyuki Nakahara, ehemaliges Geschäftsleitungsmitglied der Bank von Japan und ehemaliger Manager in der Ölindustrie, hält sogar einen Rückgang der Preise auf bis zu 20 Dollar je Barrel für möglich.
Hauptgrund für den Ölpreisverfall ist das Überangebot durch den «Fracking»-Boom in den USA. Dabei wird Rohöl mit Hilfe technisch aufwendiger Verfahren aus Schieferstein gelöst. Gleichzeitig leidet die Nachfrage durch das schwächere Wirtschaftswachstum vor allem in China, einem Top-Rohstoff-Verbraucher.
Saudi-Arabien spielt auf Zeit
Trotz des rasanten Preisrutsches gibt es weiter keine Hinweise auf eine mögliche Kürzung der Fördermengen durch die Opec. Innerhalb des Öl-Kartells hat sich vor allem Saudi-Arabien gegen eine geringere Förderung ausgesprochen und gewährt stattdessen seinen Abnehmern Rabatte. Das Kalkül: Die Förderung soll für die Fracking-Firmen in den USA unrentabel werden. Wenn diese dann aufgeben, verringert sich das Angebot und sorgt damit langfristig wieder für steigende Preise.
Der Preisverfall setzt derzeit vor allem Ölkonzernen wie BP, Shell oder Exxon zu. Die im europäischen Branchenindex gelisteten Firmen haben seit Jahresmitte zusammengerechnet mehr als 200 Milliarden Dollar an Börsenwert eingebüsst. Das entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung Portugals. Am Mittwoch verloren BP und Shell an der Londoner Börse jeweils rund 0,5 Prozent.
Experten hoffen angesichts der sinkenden Preise aber auf einen deutlichen Schub für die Wirtschaft. Auch die Konsumenten profitieren. Sie zahlen weniger für Tanken und Heizen.