Der abtretende Baselbieter Regierungsrat Urs Wüthrich nimmt Stellung zum Wahlkampf um seine Nachfolge, in dem von rechts und links gegen seine Bildungspolitik und seine Person geschossen wird.
In seinem Büro an der Liestaler Rheinstrasse hängt das Porträt von Che Guevara mit der Aufschrift: «Un révolutionnaire ne démissionne jamais.» Trotzdem wird der Baselbieter Bildungs-, Kultur- und Sportdirektor Urs Wüthrich Ende Juni nach zwölf Amtsjahren als Regierungsrat zurücktreten. Zum Ende seiner Amtszeit erlebt der einzige SP-Regierungsvertreter zum Teil happige Angriffe auf seine Bildungspolitik und seine Person. Wüthrich, der sich selber als hartnäckigen und ausdauernden Verhandler bezeichnet, nimmt diese Kampagne, an der sich nicht nur bürgerliche Politikerinnen und Politiker beteiligen, relativ gelassen. Zumindest, was seine Person betrifft. In der Sache aber gibt er sich nach wie vor absolut überzeugt, den richtigen und letztlich auch dem Volkswillen entsprechenden Weg eingeschlagen zu haben.
Im Sommer werden Sie nach zwölf Jahren als Regierungsrat zurücktreten. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihre Amtszeit zurück?
Ich bin persönlich sehr glücklich über diese spannende Erfahrung. Es war eine ausgesprochen intensive Zeit. Ich war stark gefordert, nicht zuletzt auch durch eine hohe zeitliche Präsenz. Wenn ich eine Bilanz ziehe, sehe ich zwei wichtige Werte, die ich hervorheben möchte: Auf der einen Seite die konkreten Projekte, die ich mehrheitsfähig machen und damit auch die Umsetzungsverantwortung übernehmen konnte. Auf der anderen Seite sind die zahlreichen Begegnungen eine faszinierende Seite dieses Amts. Ich konnte Menschen aus dem gesamten Spektrum der Gesellschaft kennenlernen – Menschen, mit denen ich durchaus wohlwollende und sehr freundliche Begegnungen erleben durfte, die von Respekt und Dankbarkeit geprägt waren, und nicht nur konfliktreiche, die in den Medien ausgebreitet wurden und werden. Während meiner Tätigkeit als Regierungrat sind wichtige freundschaftliche Beziehungen entstanden, die sicher über meine Amtszeit hinaus Bestand haben werden.
Was würden Sie als die grossen Erfolge Ihrer zwölfjährigen Amtszeit herausheben?
Ganz wichtig für mich war, dass ich alle gewichtigen Projekte vor allem im Bildungsbereich mit Überzeugungsarbeit – es wurde mir letztlich nichts geschenkt – durchbringen konnte; mit Mehrheiten im Parlament und/oder bei den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern. Konkret spreche ich von den Staatsverträgen zur Universität beider Basel und zur Fachhochschule Nordwestschweiz. Ich möchte auch an den klaren Volksentscheid zum Beitritt zum HarmoS-Konkordat und zum Konkordat Sonderpädagogik erinnern. Für mich ist es zudem wichtig zu erwähnen, dass wir die hohe Bildungsqualität trotz des schwierigen finanziellen Umfelds sichern konnten, dass wir in der Kultur keine grossen Abstriche hinnehmen mussten und auch im Bereich Sport trotz des knappen Budgets ohne Leistungsverzicht über die Runde kamen.
Das ist ein sehr positives Bild, das Sie da malen. Vor allem in den letzten Monaten oder vielleicht Jahren vermittelten Sie aber auch den Eindruck eines Einzelkämpfers in einem bürgerlich dominierten Kollegium. War es ein Abnützungskampf?
Was mich als Demokrat beschäftigt, ist die Tatsache, dass es im Parlament ab und zu Abstimmungen gab, die reine Obstruktion waren. Den Begriff Abnützungskampf würde ich aber nicht verwenden, weil ich mich ganz und gar nicht abgenützt fühle. Ich verrichte meine Arbeit nach wie vor sehr gerne und habe meine Grundfröhlichkeit, meinen Grundoptimismus und meine Energie behalten. Es war stets viel Energie nötig, ohne die ich die Mehrheiten für meine Projekte nicht zustande gebracht hätte. Ich wiederhole: Geschenkt wurde mir nie etwas. Aber am Schluss zählt das Resultat, auch wenn die Wege dahin nicht immer einfach waren.
«Die FDP als bildungs- und kulturpolitische Gestaltungskraft existiert kaum mehr.»
Im Kulturbereich mussten Sie einige empfindliche Niederlagen einstecken, zum Beispiel bei der Finanzierung von basel sinfonietta oder bei den Theatervorlagen. Ein so breiter Sukkurs wie beim Kulturvertrag zwischen den beiden Basel vor 17 Jahren, als sogar die SVP die Ja-Parole herausgab, ist heute kaum mehr denkbar. Sind die guten Jahre, als man im Baselbiet in Sachen Kultur noch Erfolge einfahren konnte, vorüber?
Ich musste die Erfahrung machen, dass zum Beispiel die FDP als bildungs- und kulturpolitische Gestaltungskraft eigentlich kaum mehr existiert. Das ist ein wichtiger Faktor. Es ist so, dass wir die Abstimmung über die Erhöhung der Subventionen an das Theater verloren haben – zwar sehr knapp, aber das ist wie im Fussball, wo man bei einem Gegentor in der 93 Minute gleich wenig Punkte erhält wie bei einer 5:0-Niederlage. Unglücklich war sicher der Umstand, dass im Kanton zur selben Zeit ein grosses Sparpaket angekündigt wurde. Man muss aber bedenken, dass wir im Bereich der Kulturförderung keinen Kahlschlag hinnehmen mussten. Die Institutionen, die wir in den vergangenen Jahren mittrugen, ich denke unter anderem an das Theater Roxy, das Palazzo in Liestal, das Kunsthaus Baselland, aber auch an die eigenen Institutionen, wie das Museum Baselland, die Kantonsbibliothek oder das Römertheater Augusta Raurica, konnten sich gut bis hervorragend positionieren. Das sind kulturpolitische Erfolge, die aber natürlich nicht darüber hinwegtäuschen können, dass wir beim Theater Basel nicht vorwärtskamen.
Im Wahlkampf, der sich auffallend auf das Thema Bildung konzentriert, wird ziemlich scharf auf Sie geschossen. Nehmen Sie diese Angriffe persönlich?
Mich beschäftigt, dass diese Angriffe nicht nur mich als Regierungsrat treffen, sondern auch meine sehr engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die einen ausgesprochen guten Job erledigen. Im Gegensatz zu mir können sich diese nicht direkt gegen die Anwürfe wehren. Ich denke aber, dass Angriffe, die auf meine Person zielen, letztlich auf einen Mangel an Argumenten hindeuten. Die Vorwürfe, die ich in den vergangenen Tagen zur Kenntnis nehmen musste, hatten wenig bis gar keine Substanz: Fundamentalkritik, die aber in keiner Weise fundiert ist.
Wie kommt es, dass die Skepsis im Baselbiet gegenüber HarmoS und dem Lehrplan 21 so stark ausgeprägt ist, während in Basel-Stadt scheinbar grosse Einigkeit herrscht?
Man kann die beiden Basel nicht direkt vergleichen. Ich denke, dass in Basel-Stadt in der Politik, aber auch in den Schulen der grosse Wunsch nach einem Ausstieg aus dem bestehenden System vorhanden war. Das war bei uns anders. Aber schwer verständlich ist, dass bei uns die Widerstände so heftig sind. Es gibt kaum einen anderen Kanton, der so viel in Weiterbildungen und in Ressourcen für den anspruchsvollen Umbauprozess investiert. Wir haben eine sehr ausgeprägte Mitwirkungskultur – jeder Schritt, den wir vollziehen, ist sehr breit abgesprochen. Wir haben den Rückhalt der Lehrerinnen und Lehrer, die von ihren Schulen zur Interessenvertretung auserwählt wurden. Im Unterschied zu anderen Kantonen gehen wir pragmatischer und langsamer vor. Wir halten uns klar an den Anspruch, dass Sorgfalt vor Tempo zu kommen habe. Den erweiterten Fremdsprachenunterricht auf der Primarstufe haben wir zum Beispiel ein Jahr später eingeführt als anderen Kantone, weil wir eine sorgfältige Weiterbildung der Lehrerschaft garantieren wollten. So gesehen verstehe ich nicht, warum der Protest im Kanton Baselland so laut ist.
«Frau Gschwind hat bislang ausschliesslich tatsachenfremde Worthülsen verbreitet.»
Haben Sie kein Verständnis für Lehrerinnen und Lehrer, die an ihren scheinbar bewährten Grundsätzen festhalten wollen?
Nicht akzeptabel ist für mich, dass es in einem Land, das als eines der wettbewerbsstärksten überhaupt zwingend auf Innovationen angewiesen ist, Leute gibt, die meinen, dass junge Menschen in den Schulen mit Methoden wie vor 30 Jahren auf eine globalisierte Welt und eine komplexe Gesellschaft vorbereitet werden können. Es kann doch nicht sein, dass man seine Unterrichtsgrundlagen und Tests, die man seit Jahrzehnten benutzt, nicht anpasst.
Sind Lehrerinnen und Lehrer konservative Menschen?
Natürlich nicht. Ich war in vielen Schulen vor Ort und dort wurde sehr deutlich: Die Schulen wollen Klarheit. Mit anderen Worten: Das Schlimmste, was man den Schulen antun kann, wäre ein Zickzack-Kurs oder die Aussicht, dass alles rückgängig gemacht werden könnte, was sorgfältig vorbereitet wurde und sich bereits in der Umsetzung befindet. Das hätte eine grosse Verunsicherung für die Lehrerschaft wie auch für die Schülerinnen und Schüler zur Folge. Die Diskussion hat zum Teil absurde Züge. Die Behauptung, dass wir mit der Bildungsharmonisierung unser Modell mit den drei Leistungszügen auf der Sekundarstufe aufheben wollen, ist völlig aus der Luft gegriffen. Die Volksinitiative, die in diese Richtung zielt, könnte man mit einem Vorstoss vergleichen, der verlangt, dass man in der Schweiz auf den Strassen weiterhin rechts fahren soll.
Sie sprechen damit eine Aussage von FDP-Regierungskandidatin Monica Gschwind an, die mit dem Versprechen in den Wahlkampf zieht, bei der Bildung alles besser zu machen, als Sie es taten.
Frau Gschwind hat bislang ausschliesslich tatsachenfremde Worthülsen verbreitet. Solche Aussagen führen zu einem seltsamen Bild, das wir im Rest der Schweiz abgeben. In der Erziehungsdirektorenkonferenz begegnet man mir manchmal mit viel Unverständnis darüber, dass der Kanton, der einst zu den Wortführern der Bildungsharmonisierung gehörte, nun zum Umschwenken tendiert.
Die Kritik betrifft ja nicht nur HarmoS, sondern auch den Lehrplan 21, der von Ihnen, wie es vorab das Komitee «Starke Schule Baselland» behauptet, gnadenlos durchgeboxt werde.
Wir führen nicht den Lehrplan 21 ein, sondern setzen den Lehrplan Volksschule Baselland um, der den Lehrplan 21 als Grundlage hat.
«Frau Nebiker müsste sich in Erinnerung rufen, was für einen Auftrag uns die Baselbieter Bevölkerung erteilt hat.»
Sie werden auch von Ihrer Parteikollegin Regula Nebiker, die als Regierungskandidatin und Wunsch-Bildungsdirektorin in den Wahlkampf gestiegen ist, kritisiert. Trifft Sie das?
Ich würde mir eine ernsthafte bildungspolitische Diskussion mit ihr wünschen. Die Voraussetzung dafür wäre aber, dass sie sich ebenso ernsthaft mit den Grundlagen der Bildungsreform auseinandersetzen würde. Frau Nebiker müsste sich in Erinnerung rufen, was für einen Auftrag uns die Baselbieter Bevölkerung erteilt hat und für was das Baselbiet bisher eingestanden ist. Der Baselbieter Landrat hat 2002 einstimmig eine Standesinitiative für die Bildungsharmonisierung nach Bern geschickt. Damals dachte man übrigens an eine um einiges weitergehende Harmonisierung, als diese jetzt im HarmoS-Konkordat vorgesehen ist.
Sie waren der einzige Sozialdemokrat in einer bürgerlich dominierten Regierung. Hatten Sie einen schwierigen Stand im Kollegium?
Ich sage es noch einmal: Mir wurde nichts geschenkt. Ich benötigte oft mehrere Anläufe, aber als Sportminister muss man das ja können. Ich war dankbar über meine langjährige Erfahrung als Zentralsekretär der Gewerkschaft VPOD. Für meine erfolgreiche Überzeugungsarbeit waren Verhandlungsgeschick, Ausdauer, Hartnäckigkeit und solide Dossierkenntnisse, die ich von dort aus mitgebracht hatte, unverzichtbar. Ich konnte alle meine bildungspolitischen Projekte mehrheitsfähig machen. Wenn drei bürgerliche Regierungsvertreter eine aus ihrer Sicht falsche Bildungspolitik nicht verhindern konnten, dann werden es, so hoffe ich, auch vier nicht tun können.
Nehmen Sie mit der Erwähnung von vier bürgerlichen Regierungsrätinnen und -räten auf ein mögliches Zukunftsszenario vorweg oder schlagen Sie damit Regierungsrat Isaac Reber von der Grünen Partei ins Lager der Bürgerlichen?
Ich will es mal so sagen: Ich war in meiner ganzen Regierungszeit stets der einzige linke Exekutivvertreter. Aber ich war nicht so einsam, dass ich meine Projekte nicht hätte durchbringen können.
Was würden Sie in Ihrer Arbeit als Regierungsrat als linke Politik beschreiben?
Für mich war die Frage der Chancengerechtigkeit in der Schule stets wichtig. Ich setzte mich dafür ein, dass man Menschen, die mit irgendwelchen Nachteilen zu kämpfen haben, so weit unterstützt, dass sie erfolgreich Teil der Gesellschaft sein können. Für mich war massgebend, dass die jungen Menschen in ihrer Ausbildung nicht nur fit für die Wirtschaft, sondern auch für die Gesellschaft gemacht werden. Ich weiss nicht, ob dies nun explizit linke Werte sind, für mich geht es um Grundwerte wie Chancengleichheit, Fairness und Respekt.
«Ohne die Stadt hätte die Landschaft eine Wirtschaftsleistung wie das Entlebuch, und ohne das Umland wäre Basel eine vergleichsweise bedeutungslose mittelgrosse Stadt in Europa.»
Sie sind ein Politiker, der sich stets für die Partnerschaft mit Basel-Stadt eingesetzt hat. Sie trauten sich sogar, für die Prüfung einer Fusion der beiden Basel einzustehen, was Sie sich quasi zum Landes- oder Landschaftsverräter machten. Waren Sie kein richtig standhafter Baselbieter?
Im Gegenteil. Nur die dümmsten Baselbieter freuen sich, wenn es der Stadt schlecht geht. Oder anders ausgedrückt: Ohne die Stadt hätte die Landschaft eine Wirtschaftsleistung, die mit derjenigen des Entlebuch vergleichbar wäre, und ohne das Umland wäre Basel eine vergleichsweise bedeutungslose mittelgrosse Stadt in Europa. Wir sind nur im Verbund so stark, wie wir es sind.
Dieser Verbund ist aber keine Selbstverständlichkeit. Es gibt diese in Anführungsstrichen «dümmsten Baselbieter», die meinen, dass es auch ohne Stadt geht.
Ich möchte die Zusammenarbeit nicht an der Fusionsinitiative festmachen. Es gibt viele partnerschaftliche Errungenschaften, die mehrheitsfähig wurden. Zum Beispiel die gemeinschaftliche Trägerschaft der Universität. Wir kennen rund 150 Zusammenarbeitsverträge. Die enge Zusammenarbeit und die Einsicht, dass wir aufeinander angewiesen sind, sind also im Grundsatz mehrheitsfähig.
Der SP-Sitz in der Regierung wird angegriffen. Was hätte es für Folgen, wenn Ihre Partei in der Exekutive nicht mehr vertreten wäre?
Es wäre ein Widerspruch zu unserem System, das unter anderem darauf fusst, dass alle wichtigen Kräfte in der Politik gemeinsam Regierungsverantwortung übernehmen. Interessant ist ja die Tatsache, dass die SP in den letzten Jahren eigentlich die regierungstreuste Partei war. Deshalb wäre es unverständlich, wenn die SP aus der Regierungsverantwortung ausgeschlossen würde.
Dem Kanton Baselland wurde in den Medien in letzter Zeit wiederholt ein desolater Zustand unterstellt oder er wird gar, wie kürzlich erst im «Tages-Anzeiger», als «Bananen-Kanton» dargestellt. Wie steht es aus Ihrer Sicht um den Kanton?
Einzelne destruktive Kräfte, unter anderem eben das Komitee «Starke Schule Baselland» oder Verlautbarungen, dass der Universitätsvertrag aufgehoben werden solle, fügen dem Kanton einen klaren Imageschaden zu. Ich erlebe aber auch, dass sich der Kanton zum Beispiel bei der Wirtschaftsförderung stärker zusammenrauft. In diesem Bereich hat sich die Einsicht, dass man zusammenstehen muss, durchgesetzt. Im Grundsatz ist der Kanton Basel-Landschaft nach wie vor attraktiv. Die Bevölkerung wohnt gerne hier, sie ist bereit, Steuern zu bezahlen und ihren Beitrag für eine leistungsfähige Infrastruktur zu leisten.
Wie werden die Wahlen ausgehen? Wird die SP künftig noch im Regierungsrat vertreten sein?
Eine Prognose über die parteipolitische und personelle Zusammensetzung des künftigen Regierungsrats ist schwierig, weil in der Bevölkerung vor allem, was die Parteibindung betrifft, eine gewisse Entpolitisierung wahrzunehmen ist. Dies macht Wahlen etwas unberechenbar. Ich erwarte aber, dass nach wie vor so viel staatspolitisches Verständnis vorhanden ist, dass man der SP einen Sitz oder bestenfalls zwei Sitze in der Regierung zugesteht.