Der Ständerat empfiehlt die Mindestlohn-Initiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung. Mit der Volksinitiative fordern Gewerkschaften, dass mit Gesamtarbeitsverträgen oder im Gesetz ein Lohn vorgeschrieben wird, von dem Menschen mit einer Vollzeit-Stelle leben können.
Die Volksinitiative «für den Schutz fairer Löhne» verlangt einen Mindestlohn von 22 Franken in der Stunde oder 4000 Franken im Monat. Der Betrag soll regelmässig an die Teuerung und die Preisentwicklung angepasst werden.
Der Ständerat lehnte die Initiative mit 31 zu 13 Stimmen ab und folgte nach einer ausgiebigen Debatte dem Antrag der Mehrheit der Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) und auch dem Kurs des Bundesrates. Eine rot-grüne Minderheit hätte die Initiative annehmen wollen. Das Geschäft geht nun in den Nationalrat.
Tatenlos bleiben wollte der Ständerat aber nicht. Er nahm eine Motion an, die den Bundesrat beauftragt, bei den flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit Vollzugsdefizite aufzuzeigen und anzugehen. Die Verfahren für Gesamtarbeitsverträge und Normalarbeitsverträge sollen beschleunigt werden.
Bürgerliche warnten
Die heutige Lösung, nämlich dass die Sozialpartner die Löhne aushandeln und regeln, sei besser, sagte Pirmin Bischof (CVP/SO) namens der Mehrheit. Damit könne auf Branchen und Regionen Rücksicht genommen werden. Auch sei der Anteil der Tieflohnbezüger in der Schweiz relativ tief. Das zeige der von der WAK bestellte Bericht des Bundesrates zum Thema.
Bürgerliche warnten vor der Initiative: «Sie sägt am Wohlstandsast, auf dem wir sitzen. Sie vernichtet Arbeitsplätze und trägt kaum zur Armutsbekämpfung bei», kritisierte Pankraz Freitag (FDP/GL). Der im Vergleich zum Ausland verlangte hohe Mindestlohn würde die Schweiz noch attraktiver machen für Einwanderer.
Hannes Germann (SVP/SH) meinte, die Initiative könne negative Folgen haben für Arbeitnehmer, die mit ihrer Produktivität das neue Mindestlohn-Niveau nicht erreichten. Konrad Graber (CVP/LU) warnte vor einem höheren Druck auf die Arbeitsplätze: «Was nützt ein Mindestlohn, wenn man keine Stelle hat?»
Thomas Minder (parteilos/SH) befürchtete eine Zunahme der Schwarzarbeit: «In der Coiffeurbranche würden wegen den Mindestlöhnen viele Salons schliessen, und das Geschäft mit dem Haareschneiden würde ins Private verschwinden». Damit gingen Mehrwertsteuereinnahmen und Sozialabgaben verloren.
Ausgelernte mit Tieflöhnen
Auch Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann plädierte gegen die Initiative. Die Schweizer Wirtschaft sei dank flexiblem Arbeitsmarkt erfolgreich, mit Vollbeschäftigung und einem hohen Lohnniveau.
Eine rot-grüne Minderheit der WAK wollte die Initiative annehmen. Sprecher Christian Levrat (SP/FR) sprach von einem sozialen Bedürfnis. 430’000 Menschen erhielten Löhne unter 4000 Franken, darunter auch Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung.
Nicht gelten lassen wollte die Minderheit das Argument, dass Mindestlöhne der Schweizer Wirtschaft schaden, weil Arbeitsplätze ins Ausland verlegt werden könnten. Tieflöhne gebe es vor allem in der Landwirtschaft, bei Coiffeuren oder im Gartenbau, bei denen eine Abwanderung nicht möglich sei, führte Levrat aus.
SP-Vertreter hätten einen Gegenvorschlag gewünscht. Obwohl die Initiative einen wunden Punkt treffe, wolle sie den Mindestlohn eigentlich nicht in die Verfassung schreiben, sagte Anita Fetz (BS). «Ich wäre für einen Gesetzesartikel, mit Rücksicht auf die Regionen.»
Roberto Zanetti (SP/SO) sah eine Schnittmenge zwischen Befürwortern und Gegnern der Initiative. Auf der Grundlage hätte mit einem Gegenvorschlag gemeinsam nach Lösungen gesucht werden können.
Negative Folgen für Personenfreizügigkeit befürchtet
Die SP-Vertreter warnten vor negativen Auswirkungen eines Neins für den freien Personenverkehr. «Die Akzeptanz des Freizügigkeitsabkommens ist im freien Fall», konstatierte Anita Fetz. «Wir leben in einem offenen Arbeitsmarkt», fügte Paul Rechsteiner (SP/SG) hinzu. «Da sind andere Regeln nötig.»
Didier Berberat (SP/NE) verwies auf gute Erfahrungen in den Grenzkantonen Neuenburg und Jura mit Mindestlohn-Vorschriften. «Die Initiative ist machbar», stellte er fest. Sozialpartnerschaftliche Lösungen seien gut. Wo es keine Gesamtarbeitsverträge gebe, brauche es eine landesweite Vorschrift.