Bei Kostüm Kaiser in Aesch hängen tausende Verkleidungen. Sie erzählen mindestens ebensoviele Geschichten.
Von Matthias Oppliger
Wenn Mächtige wie die Kinder
Musketier spielen können.
Die Rollen hängen Bügel an Bügel, dicht an dicht, man muss nur noch hineinschlüpfen. In den raumhohen Schränken bei Kostüm Kaiser in Aesch lagern 40 000 Kostüme. Oder 50 000, so genau weiss das niemand. Die Schränke stehen auf Schienen und sind beweglich. So kann man sich durch die verschiedenen Epochen und Themen kurbeln.
Vom Neandertaler bis zu Hermann Göring, von der adretten Charleston-Dame bis zur lasziven Latexlady, praktisch alles lässt sich mieten. Neuerdings müssen Verkleidungswillige nur noch zur Anprobe nach Aesch reisen, denn Chef Bruno Gschwind hat im St. Johann eine Hol- und Bringstation eingerichtet. Nach über 50 Jahren kehrt der Kostümverleih damit zumindest ein bisschen zurück nach Basel, wo er Ende des 19. Jahrhunderts gegründet wurde.
Die Latexlady war übrigens eine Auftragsarbeit für einen deutschen Autohersteller, der seine kraftstrotzenden Boliden mit kurvenreichen Frauen in hautengen schwarzen Anzügen garnierte. Während der 65-jährige Gschwind durch die Kleider blättert, als wären es die Seiten eines Buches, fallen dem Geschäftsinhaber unzählige Anekdoten ein. Jedes Fetzchen hat seine eigene Geschichte, oft handelt sie vom Rollentausch, von der Selbstdarstellung oder von erfüllten Kindheitsträumen.
Gschwind hat beispielsweise einen treuen Kunden, der exklusive Kostümbälle veranstaltet. Zu diesen privaten Feiern sollen angeblich die wirklich Wichtigen der Schweiz kommen. Sie finden in noblen Hotels statt, abgeriegelt und fern jeder Kamera. Alphatiere aus Wirtschaft und Politik vergnügen sich da in Kaisers Kostümen. Gschwind erzählt von einem der ganz grossen Entscheider, der völlig aus dem Häuschen gewesen sei, nachdem er einen Abend lang als Musketier verbringen durfte. «Er hat mir noch Jahre später vorgeschwärmt, wie gut ihm das gefallen hat», sagt Gschwind.
40 Kleider in drei Wochen
In einem der Schränke hängen auch über vierzig Damenkleider: aufwändig bestickt, aus schwerem, hochwertigem Material, oppulent, typisch Barock. «Die haben wir eigens herstellen lassen, für ein Luxushotel im Tessin», erzählt Gschwind. Dieses Hotel plante einen thematischen Kostümball und wollte den Gästen vor Ort Kostüme zur Verfügung stellen. Der Auftrag kam sehr kurzfristig, innert drei Wochen sollten die teuren Kleider beschafft werden.
Das konnte Kostüm Kaiser nicht selbst bewältigen. Also liess Gschwind zwei Kostümbildnerinnen aus Frankreich kommen und zeigte ihnen Zeichnungen und Modelle. Die beiden reisten nach Lyon, beschafften den Stoff, nähten Muster in ihrem Atelier in Paris, reisten nach Aesch und zeigten ihre Muster. Gschwind war einverstanden, die beiden nähten los. Zwei Wochen später standen sie wieder in Aesch mit 42 hochwertigen Kleidern im Gepäck. «Ich weiss bis heute nicht, wie sie das zustande gebracht haben», sagt Gschwind. Den Wert eines solchen Kleides schätzt er heute auf etwa 7000 Franken, ausleihen kann man sie für 332 Franken pro Tag. Damit gehören sie zu den teuersten Kostümen im Kaiser’schen Sortiment.
Mit Aufträgen wie diesem lasse sich kein Geld verdienen, sagt Gschwind. «Dafür war es eine spannende Aufgabe und die Kleider sind ein Schmuckstück unserer Sammlung.» Die bayrischen Dirndl sind lukrativer. Seitdem die Oktoberfest-Feierei pandemisch um sich gegriffen hat, stapeln sich bei Kaiser die Lederhosen und Mieder. Auch die Kategorie «Fasching», wie Gschwind die minderwertigen Kunststofffummel nennt, füllt inzwischen mehrere Laufmeter.
Es sind nicht diese günstigen Kostüme – die auf den ersten Blick gut aussehen mögen, aber auch nur auf den ersten –, die bei Gschwind Leidenschaft für seinen Beruf aufkommen lassen. Er interessiert sich für die echten, hochwertigen Kleider und Accessoires. Zusammen mit seinem Sohn Cédric reist er gerne durch die Welt, um Raritäten aufzustöbern. Mit der Reiserei hat Gschwind angefangen, sein Vater, von dem er die Firma übernommen hat, war Schneider und stellte noch alle Kostüme selber her.
Gschwind hatte andere Pläne. Er war Banker, wollte herumkommen. Dann war zu Hause Not am Mann und er sprang ein; das war 1969 und Bruno Gschwind 21 Jahre alt. «Die Näherei lief praktisch Tag und Nacht, wir ertranken in Arbeit», erzählt er. Doch Ende Monat sei trotzdem nie Geld übrig geblieben, die Büroangelegenheiten wurden sträflich vernachlässigt, es drohte die Schliessung. Kostüm Kaiser war reif für einen Banker. Bruno Gschwind riss das Steuer herum, heute steht der Betrieb gut da.
Auf seinen Reisen hat Gschwind Schätze zusammengetragen. Russische Offiziersuniformen etwa (bei Kaiser lagert ein Marschall, in der Geschichte gab es nur 41 Offiziere dieses Grades) oder bestickte Seide aus China. Auf seiner letzten Reise musste er allerdings feststellen, dass es diese bestimmte Stickerei nicht mehr gibt. «Das Handwerk ging verloren, niemand weiss mehr, wie man solche Motive in dieser Qualität herstellen kann.»
Gleich ging es ihm mit einem Knopfmacher aus Bern. Mit 70 hatte der Herr genug und suchte nach einem Nachfolger. Die Knöpfe waren von so guter Qualität, dass Gschwind sich sogar selbst um eine Nachfolge kümmern wollte. Aber er fand niemanden, der sich der alten Werkstatt und den Maschinen annehmen wollte. «Viele der Geräte und Techniken hat der Knopfmacher selbst entwickelt, dieses Wissen ist nun verloren.» Einige Knöpfe und seltsam anmutende Gerätschaften nahm Gschwind in seine Obhut, sie lagern nun neben anderen Memorabilien in einem Büroraum in Aesch. Gschwind geht es wie jedem Sammler, er weiss nicht wohin mit dem ganzen Zeug.
Heikle Historie
In seinen Schränken, auf dem Estrich, in seinem Haus im Jura, wo auch immer, lagern haufenweise Dinge, die Gschwind gar nicht vermietet. Er hat Nazi-Orden, praktisch unbezahlbare Originale, die er nicht herausgibt. Auch den russischen Marschall vermietet er nicht. Er will nicht, dass jemand damit Schindluder treibt. Historie ist heikel. SS-Uniformen vermiete er beispielsweise nur an Theater oder wenn er ganz genau wisse, wofür sie verwendet werden. «Wenn einer kommt, der an irgendeiner Veranstaltung seinen rechten Arm in die Luft recken will, ist er bei mir falsch.» Regelmässig erhält er Besuch von Sammlern, die hoffen, Raritäten abstauben zu können.
Einmal ging ihm aber doch ein Spitzbube durch die Lappen, erzählt der 65-Jährige. «Ein Mann hat sich bei uns eine Pilotenuniform ausgeliehen, Original-Swissair.» Der habe sich danach mehrere Wochen lang durch die Schweiz geschummelt, Autos geklaut und sonstige Gefälligkeiten erschwindelt. Wie im Film «Catch me if you can» mit Leonardo di Caprio und Tom Hanks. «Nachdem der Möchtegern-Pilot verhaftet worden war, konnte ich unsere Uniform dann bei der Polizei abholen.»
Neben Kleidern vermietet der Kaiser auch Accessoires und Waffen, im Kellergeschoss reihen sich Flinten und Revolver an Schwerter und Säbel. An einer Wand warten Rüstungen auf rüstige Ritter, die sich nicht davor scheuen, beim Gehen zu klappern. In der Garage steht ein alter schwarzer Citroën, der sich gut machen würde an einer Mafia-Motto-Party. Im Nadelstreifenanzug anrauschen, auf dem Trittbrett dieses Wagens mit einer «Thompson» im Anschlag. Was für ein Auftritt! «Das Auto ist nicht zu vermieten», zerstört Gschwind die romantischen Gangster-Ambitionen.
Das Telefon klingelt, Sohn Cédric geht ran. «Wir brauchen einen Papagei und ein Känguruh. Zum Fallschirmspringen», erzählt er nach dem Telefonat. Sein Vater sagt: «Kein Problem, haben wir alles. Sogar einen Fallschirm, den würde ich aber nicht zum Springen benutzen, der sieht einfach gut aus.»
Cédric Gschwind, der Sohn des Geschäftsinhabers, zeigt eines der Prunkstücke der Kaiser’schen Sammlung, die aufwändige Replik eines Barockkleides. Foto: Stefan Bohrer