Im Maracana steht ein Klassiker an: Mit Frankreich und Deutschland duellieren sich zwei Weltmeister der Neunzigerjahre. In Rio sollen auch ein paar Fragen der Zukunft und Vergangenheit geklärt werden.
Die beiden europäischen Viertelfinalisten sind unter komplett verschiedenen Voraussetzungen ins Turnier gestartet. Derweil die Franzosen vom ersten Tag an primär die Pflege ihres ramponierten Images im Sinn hatten, zählt für Deutschlands Trainer Joachim Löw in Brasilien nur das deutsche Comeback an der Spitze des WM-Rankings. Fast ausnahmslos überzeugt haben bis anhin aber eher die Franzosen.
«Les Bleus» sind im Prozess ihrer sportlichen «Resozialisierung» schon erstaunlich weit fortgeschritten. Die grenzenlose Selbstzerfleischung vor vier Jahren ist inzwischen in den Hintergrund gerückt. Didier Deschamps ordnete im überdurchschnittlich bestückten Team auf und neben dem Rasen die Rückkehr zur Vernunft an – bis jetzt funktioniert die Strategie des Captains der früheren Weltmeister-Auswahl.
28:3 Treffer in neun mehrheitlich exzellenten Spielen seit dem 3:0 in der Barrage gegen die Ukraine sind gute Argumente für eine positive Fortsetzung. Vollmundige Prognosen waren gleichwohl keine zu vernehmen. Zu gross ist der Respekt vor der deutschen Qualität. Einzig Bixente Lizarazu, der frühere Bayern-Star und Verteidiger der legendären 98er-Equipe, provozierte: «Es wird leichter als gegen Nigeria.»
ZDF-Experte Oliver Kahn ist anderer Meinung als sein früherer Mitspieler: «Frankreich ist alles andere als eine Übermannschaft.» Der Einschätzung des Titans widerspricht im DFB mutmasslich niemand. Ein frühzeitiges WM-Out ist für viele Beteiligte undenkbar und würde zweifellos eine sofortige Grundsatzdiskussion auslösen, weil der Generation des jahrelangen Hoffnungsträgers Philipp Lahm nur ein Titelgewinn die uneingeschränkte Anerkennung garantiert.
Schicksalsspiel für Löw?
Löws erstklassige Bilanz als Bundestrainer genügt der verwöhnten Öffentlichkeit nicht. Während zwei Qualifikations-Perioden hat seine ungeschlagene Equipe mit einem Torverhältnis von 62:15 brilliert. Doch für die exzellenten Zahlen im Vorprogramm interessiert sich kaum jemand. Über das 0:1 gegen Spanien in den WM-Halbfinals 2010 in Südafrika, notabene eine von zwei Niederlagen in 31 Spielen zweier WM-Kampagnen unter der Leitung von Löw, debattieren die Kommentatoren noch heute.
Für die deutsche Fussball-Szene ist nur das Beste knapp gut genug. Von einer Euphorie ist trotz der 17. Viertelfinal-Qualifikation bei 18 WM-Teilnahmen wenig zu spüren. Inzwischen wird selbst nach Siegen wie in den Achtelfinals gegen Algerien (2:1) die Stilfrage in den Vordergrund gerückt. Gute Ergebnisse allein besänftigen die Anhängerschaft nicht. Vielleicht ist auch deshalb von einem Schicksalsspiel für die Zukunft von Löw die Rede.
Der Selektionär lässt sich vom gewaltigen Druck nichts anmerken: «Ich weiss, dass unsere Mannschaft stark ist. Wir haben keine Angst.» Er wünsche sich, dass «das Sieger-Gen» wieder zum Vorschein komme. 2006 wurde Löw als Assistent Klinsmanns in der vorletzten Runde von Italien gestoppt, in Südafrika war Titelhalter Spanien im Halbfinal zu stark – die Geschichte soll sich nicht wiederholen.
Die alten Geschichten
Auf WM-Niveau sind sich die beiden Top-Nationen vor 28 Jahren letztmals begegnet. In der Gluthitze des Guadalajara-Stadions schaltete die DFB-Auswahl «Les Bleus» zum zweiten Mal in Folge in den Halbfinals aus. Für einige französische Leitmedien ist der epochale Frust offenbar unvergesslich. Sie rollten alte Geschichten aus. Verschiedene Blattmacher erinnerten sich wieder einmal an das brutale Foul von Toni Schumacher gegen Patrick Battiston (Sevilla, WM 1982).
«L’Équipe» listete fünf deutsche Namen auf, «die man gar nicht liebt». Karl-Heinz Rummenigge, Horst Hrubesch, Klaus Allofs, Mehmet Scholl und eben der frühere Keeper Schumacher gehören für die Fachzeitung zur entsprechenden Kategorie. Schumacher betitelte das Organ als Aggressor, der ein Attentat verübt habe. Er werde für immer der «Metzger von Sevilla» bleiben. Weder Deschamps noch Löw beteiligten sich an den polemischen Rückschauen. «Wir leben in der Gegenwart.»
Frankreich – Deutschland
Maracana, Rio de Janeiro. – 18 Uhr. – SR Pitana (Arg).
Frankreich: 1 Lloris; 2 Debuchy, 4 Varane, 5 Sakho, 3 Evra; 19 Pogba, 6 Cabaye, 14 Matuidi; 8 Valbuena, 10 Benzema, 11 Griezmann.
Deutschland: 1 Neuer; 20 Boateng, 17 Mertesacker, 5 Hummels, 4 Höwedes; 16 Lahm, 7 Schweinsteiger, 18 Kroos; 9 Schürrle, 13 Müller, 8 Özil.