Mit Seamus Heaney ist am Freitag der bedeutendste Vertreter der zeitgenössischen anglo-irischen Lyrik gestorben, der sich vor allem als literarische Stimme im Nordirlandkonflikt einen Namen gemacht hat. Die Dichterkarriere Heaneys wurde 1995 mit dem Literaturnobelpreis gekrönt.
Am Freitag, 30. August, ist der Ire im Alter von 74 Jahren für immer verstummt.
Geboren wurde Heaney am 13. April 1939 als ältester Sohn von neun Kindern. Der Vater, den er in seinem Gedicht «Vom Graben» würdigte, besass eine kleine Farm in Nordirland, arbeitete aber hauptsächlich als Viehhändler.
Im ländlichen County Derry ist die «Geisteslandschaft» seiner Dichtung angesiedelt. Nach einem Stipendium an einer katholischen Internatsschule in Londonderry studierte er in Belfast und arbeitete dort später als Lehrer. Seinen Umzug in die Grossstadt beschrieb er einst als «Entfernung von der Erde der Farmarbeit in den Himmel der Bildung».
Bekannt wurde Heaney zunächst durch einfühlsame Naturschilderungen. Diese frühen Gedichte sind jedoch keine Idealisierung der Kindheit und der ländlichen, häufig auch brutalen Traditionen. Vielmehr ist in ihnen schon angelegt, was seine reife Lyrik prägen sollte: die Suche nach kultureller und nationaler Identität.
Umzug nach Dublin
Der Ausbruch der Unruhen in Nordirland Ende der 1960er Jahre machte ihn dann zu einem Dichter, der mit wachem politischen Bewusstsein auf die Ereignisse der Zeit reagierte. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände erschütterten den Dichter so sehr, dass er Belfast den Rücken kehrte und 1972 in das Dorf Glanmore in der Republik Irland und später nach Dublin zog.
Kritiker kreideten ihm dies als Flucht aus seiner Verantwortung als katholischer Schriftsteller an. Er selbst begründete den Schritt auch damit, dass er auf dem Land mehr Zeit zum Schreiben habe. Spätestens mit dem Band «North» (1975) kam der Durchbruch.
Die Beschäftigung mit dem Nordirlandkonflikt zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Davon zeugen unter anderem die Gedichtbände «Wintering Out» (1972), «Spirit Level» (1996) und «Die Wasserwaage» (1998).
Weitere Auszeichnungen
Gedichte mussten nach Heaneys Meinung Einsichten vermitteln und überraschen. Sie könnten in unsteter und schnelllebiger Zeit auch Sicherheit geben – nicht durch «einlullende oder optimistische Gefühle», sondern durch «Erfahrung einer Richtigkeit», durch «Einsicht, Ausdruck, Beobachtung», sagte er einmal in einem dpa-Gespräch.
Neben der Arbeit als Dichter lehrte Heaney an verschiedenen Universitäten in Irland, England und den USA. Seit 1982 erhielt er regelmässige Lehraufträge der Harvard-Universität, wo er bis 2006 auch eine Rhetorikprofessur innehatte. Ausserdem beteiligte er sich an der politisch aktiven Theatergruppe «Field Day».
Die Leistungen Heaneys blieben auch abseits des Nobelpreises nicht unbemerkt. 2006 erhielt er den ebenfalls hochrenommierten T. S. Eliot Prize und zuletzt 2011 den Irish Book ‚Lifetime Achievement Award‘.