Seien wir ehrlich: 2011 wird nicht für einen epochalen Jahrgang in die Geschichte eingehen, was neue Musikalben angeht. Einzelne Lieder? Klar, da gab es viele, auch ergreifende, lustige, tanzbare. Aber ganze Alben? Wir haben ausgemistet und präsentieren hier 7 Platten, die wir immer wieder gerne aus dem Regal zupfen.
Seien wir ehrlich: 2011 wird nicht für einen epochalen Jahrgang in die Geschichte eingehen, was neue Musikalben angeht. Einzelne Lieder? Klar, da gab es viele, auch ergreifende, lustige, tanzbare. Aber ganze Alben? Wir haben ausgemistet und präsentieren hier 7 Platten, die wir immer wieder gerne aus dem Regal zupfen. Sie dürfen die Liste wie immer ergänzen und uns in der Kommentarspalte Ihre diesjährigen Lieblingsplatten mitteilen.
James Blake: «James Blake»
Dieser James Blake. Der erste neue Künstler seit langem, der mich nicht nur sofort in seinen Bann gezogen, sondern auch danach nicht mehr losgelassen hat. Sein selbstbetiteltes Debütalbum erinnert entfernt an Thom Yorkes Solowerk: reduziert, hypnotisch, neue Klangwelten erforschend. Alles kulminiert in The Wilhelm Scream, ein Stück Musik jenseits von Zeit und Raum, total entrückt in einem Klangkosmos schwebend. (dba)
Anna Calvi: «Anna Calvi»
Sinnlich, soulig, süchtigmachend. In dem Jahr, da PJ Harvey nach der Meinung so ziemlich aller das Album des Jahres abgeliefert hat und die Schweiz einen regelrechten Boom an Singer/Songwriterinnen erlebt hat, hat die 29-jährige Anna Calvi mit ihrem Debütalbum den heimlichen Höhepunkt gesetzt. Markanteste Kennzeichen: Das Flamenco-angehauchte Gitarrenspiel und Calvis Stimme, die Abgründe zwischen sinnlich-sexy und düster-bedrohlich aufzureissen vermag. Ein Album voller Spannung, das vollkommen zurecht für den renommierten Mercury Prize nominiert war. (dba)
Destroyer: «Kaputt»
Obacht, der Albumtitel täuscht: Hinter «Kaputt» stehen nicht abgewrackte Berliner, sondern ein Kanadier: Daniel Bejar alias Destroyer. Der Mössiö aus Vancouver schaffte es heuer mit seinem neunten Album auf zahlreiche Titelseiten. Smooth ist die Musik, so smooth, dass wir von Liebe auf den zweiten Hörgang sprechen. Nicht nur der Titeltrack erinnert mit seinen süffigen Sounds an die Eighties, an ABC oder an Bryan Ferry. Da wird glitzernder Dream Pop mit inhaltlicher Larmoyanz angereichert. Damit polarisiert Bejar zugegebenermassen, allein der Einsatz von halligen Saxofon- und Trompeten-Klängen gilt seit Jahren schon als verpönt. Doch Pop ist zyklisch, ebenso die Trends. Mit «Kaputt», ihrem mittlerweile neunten Album, landeten Destroyer in der Jahres-Bestenliste der amerikanischen Online-Plattform Pitchfork auf Platz 2. Das britische Musikheft Uncut hingegen sieht die Platte lediglich auf dem 31. Rang. Geschmacksache also. Man könnte an dieser Stelle daher auch auf die britischen Metronomy verweisen oder auf die australischen Gypsy & The Cat, die ebenfalls mit den einst verpönten Sounds der 80er-Jahre flirten. So wie Bejar, der im Titellied mit sanfter Stimme ganz schön ironisch die Hipster anzündet: «Wasting your days, chasing some girls all right, chasing cocaine to the back rooms of the world all night.» (mac)
R.E.M.: «Collapse Into Now»
Nach lauen Jahren fanden R.E.M. endlich wieder zur Hochform zurück (und, ja, auch zur Mandoline!). Mit «Collapse Into Now» erfüllten die Amerikaner im März ihren 80-Millionen-Dollar-Vertrag mit Warner Brothers. Ein würdiger Abschluss, kommt das Album doch an ihre grössten Werke, etwa «Automatic for the People», heran. Es besticht durch seine Vielfalt – hier druckvolle Rockmusik, da sehnsuchtsvolle Balladen – und seine grossen Melodien. Unser Beispiel: «Überlin», worin Michael Stipe wunderbar seine Entdeckungsreise in der fremden Grossstadt beschreibt – in den Berliner Hansa Studios nahmen R.E.M. den Grossteil des Albums auf. Wenn es etwas zu bedauern gibt, dann einzig, dass die Band die neuen Lieder nie live aufführen wird. Im Herbst gaben R.E.M. ihre Auflösung bekannt. 30 Jahre sind dem Trio genug. Ausgerechnet jetzt, wo ihnen das Kunststück gelungen ist, frische Stadionhymnen zu schreiben. Schade. So long, R.E.M. (mac)
Adele: «21»
Im Zeitalter der Castingstars, deren Karriere kaum das Haltbarkeitsdatum von Frischfleisch überschreitet, geht gerne vergessen, dass langfristiger Erfolg vor allem eines bedingt: Raum für die Entwicklung einer eigenständigen, musikalischen Persönlichkeit. Umso beruhigender, dass es immer noch (Indie-) Labels gibt, die ihren Jungtalenten die nötige Freiheit geben, in Ruhe neue Songs zu schreiben, statt sich im Heissluftballon des Medienhypes verheizen zu lassen. So geschehen bei Adele, die nach dem Achtungserfolg ihres Erstlings «19» erst mal eine einjährige Auszeit nahm – und XL Recordings dafür «21» schenkte: Ein Album mit zeitlosen Balladen wie «Someone Like You» oder «Set Fire to the Rain», getragen von der kraftvollen Authentizität ihrer Stimme. Eine in jeglicher Hinsicht reife Leistung. Und: ein Millionenseller. Eat this, Dieter Bohlen. (tah)
Robag Wruhme: «Thora Vukk»
Müsste man das konstant morphende, rhizomatisch in alle Richtungen wuchernde Monstrum der elektronischen Musik 2011 auf einen gemeinsamen Nenner bringen, es wäre die Entschleunigung. Als suchten sie einen Ausgleich zur Schnellebigkeit unserer Tage, lieferten die spannendsten Künstler der Szene – von Newcomer James Blake über Wunderkind Nicolas Jaar («Space is only Noise») bis hin zu Veteran Villalobos – allesamt erstaunlich ruhig vor sich hin fliessende Langspielalben ab, deren majestätische Schönheit näher beim Klangteppich alter Ambientklassiker liegt als bei der Hektik des grosstädtischen Nachtlebens. Am entspanntesten von allen klingt ausgerechnet Robag Wruhme: Einst als Wodka-seeliges Mitglied der «Wighnomy Brothers» bekannt geworden, und nach akuter Burnout-Gefährdung zwischenzeitlich auf einem Bauernhof im Spreewald untergetaucht, hört sich Wruhmes Comeback «Thora Vukk» an wie ein musikalisches Stilleben, wie das Werk eines Zenmeisters. Und betont damit das oft unterschätzte, meditative Fundament von House und Techno: Die Repetition. (tah)
Mogwai: «Hardcore Will Never Die, But You Will»
Dieses Album gehört alleine schon wegen seines Titels in jede Bestenliste. Doch auch was sich unter dem Cover verbirgt, ist aller Ehren wert. Mit ihrem siebten Studioalbum halten sich die Schotten mühelos an der Spitze des europäischen Post-Rock. Auch, weil Mogwai es verstehen, diese Urgewalt von Musikgenre immer wieder so zu bändigen, dass neben der Schwere des Post-Rock auch hier und dort die Leichtigkeit der Popmusik durchschimmert. Dies macht Mogwai auch 2011 zu einem hörenswerten Erlebnisparcours zwischen laut und leise, grob und filigran. (dba)