«Die Alternative zur WG ist Einsamkeit», sagt Filmregisseur Westhoff

Derzeit amüsiert der WG-Film «Wir sind die Neuen» die Kinobesucher. Wir haben uns mit dem preisgekrönten Regisseur Ralf Westhoff unterhalten. Was droht, wenn die Alten in Zukunft verarmen? Droht dann eine Gesellschaft, die auf die Lebenserfahrung der Alten verzichten muss und dabei selber verarmt? Regisseur Ralf Westhoff («Schoppen») nimmt diese Fragen in seinem Film «Wir […]

Derzeit amüsiert der WG-Film «Wir sind die Neuen» die Kinobesucher. Wir haben uns mit dem preisgekrönten Regisseur Ralf Westhoff unterhalten.

Was droht, wenn die Alten in Zukunft verarmen? Droht dann eine Gesellschaft, die auf die Lebenserfahrung der Alten verzichten muss und dabei selber verarmt? Regisseur Ralf Westhoff («Schoppen») nimmt diese Fragen in seinem Film «Wir sind die Neuen» durchaus ernst. Das macht seine Komödie so gut.

Westhoff versucht nicht, angestrengt lustig zu sein. Er richtet die Kamera schonungslos offen auf einen sich abzeichnenden Generationenkrieg: Er zeigt zwei WGs. Zwei Wohnungstüren. Hinter der einen drei Junge, die es im Leben zu etwas bringen wollen. Hinter der anderen drei Alte, die es im Leben zu nichts gebracht haben.

Die einen werden in Zukunft das Leben der anderen finanzieren müssen, die deren Vergangenheit finanziert haben. Dazwischen liegt ein Generationenvertrag, der nach Neuverhandlungen ruft. Ein Gespräch mit Ralf Westhoff, der am Filmfestival München den Regiepreis gewann.

(Bild: FRANK-MAECHLER )

Herr Westhoff, wie erklären Sie sich den Regiepreis in München?

Wir haben alle versucht, möglichst keine Kompromisse zu machen. Wir haben uns auf die Schauspieler konzentriert, um Raum für Sie zu schaffen. Für die Schauspieler kann man nie genug tun.

Dann haben sie viel Gutes getan. Die Schauspieler sind grandios. Obwohl die Geschichte doch sehr zugespitzt ist, auf der einen Seite die Alters-Armut, auf der andere giftige Jungkarrieristen.

Die jungen Schauspieler haben mir im Vorfeld gesagt: So biestig bin ich nicht! Dennoch wollte ich die Härte der Charaktere, um die Härte des Konfliktes nicht aufzuweichen. Ich schildere Verhältnisse: Die Jungen stehen kurz vor ihren Prüfungen. Da haben Sie alles Recht der Welt, so biestig zu sein.

Und so spiessig?  

Die Alten sind ja auf ihre Weise nicht weniger rücksichtslos, wenn sie von den Jungen den Spagat von gesellig und grosszügig mit karrierebewusst und erfolgreich erwarten. Ich kritisiere weniger die jungen Leute, als die Umstände, die sie so giftig machen.

Hassen Sie selber WGs?

Es ist noch nicht lange her. Ich würde es auch noch mal machen, am liebsten mit meiner Partnerin. Allerdings entwickeln Leute, wenn sie älter werden, auch ihre Eigenarten.

Worauf haben Sie bei Ihrer WG-Wahl geachtet?

Ich habe meist da gewohnt, wo was frei war. Wo was zahlbar war. Darin waren wir alle gleich. Ich wollte nicht allein sein. Das Leben ist schöner im Zusammenleben. Aber dann fingen die Unterschiede an. Ich habe Wirtschaftswissenschaften studiert, aber mit Taxifahrern, Studenten, Freunden gelebt. Ein wilder Mix.

Was stösst Sie an einer WG ab?

Wenn zu viele Regeln gemacht werden. Wenn alles zugeplant wird.

Waren ihre Eltern bei Ihnen in der WG zu Besuch?

Ich habe eher meine Eltern besucht. Aber nicht um zu vermeiden, dass sie mich besuchen. Meine Eltern kannten WG als Lebensform nicht. Sie haben sie auch nicht erfunden. Die WG in «Wir sind die Neuen» ist ein Revival einer schönen Studentenschaft.

Warum ist die WG nicht ein Erfolgsmodell für Familien, Paare, Singels, Alte?

Sie ist vielleicht ein Ersatzmodell. Man greift darauf zurück wenn das mit der Familie oder der Partnerschaft nicht klappt. WG ist immer mit sehr vielen Kompromissen verbunden, denen man in der Partnerschaft der Familie eher aus dem Weg gehen kann. WG bietet auch viel Sprechstoff. Aber die Alternative ist Einsamkeit.

Sie haben ein tolles Ensemble, Heiner Lauterbach, Gisela Schneeberger. Und Michael Wittenborn, der uns aus Basler Zeiten wohl bekannt ist…

Wittenborn ist ein krasser Schauspieler, der sehr viel anbietet. Was dem alles einfällt! Das ist für mich als Autor immer erschreckend: Weil ich Angst um meine Texte habe. Aber bei ihm ist das nicht so. Er belauscht den Text. Er verändert ihn auch. Aber so, wie er ihn hört. Er sagt nicht «Party» wenn er weiss: «Wir haben da Fete gesagt!»


Brillieren im Film: Heiner Lauterbach, Gisela Schneeberger und Michael Wittenborn

Haben sie etwas von den Alten gelernt?

Sie sind nicht alt. Auch in echt nicht. Früher wären sie mit 60 Alte gewesen. Heute sind sie voller Leben. Nein, das ist keine Alten-WG. Das ist eine Armen-WG.

Dennoch könnte es die letzte sein? Oder schämt man sich auch, das zuzugeben?

Ich wollte nicht zu romantisch sein, auch wenn ich mit der Geschichte von Eddi so etwas andeute, wie eine Krankengeschichte. Da rückt auf jeden von uns etwas zu, was wir gerne verdrängen …

Steuern wir auf einen Generationenkrieg zu?

Mich interessierte die Frage: Wie war Jungsein damals, wie ist Jungsein heute? Was geschieht, wenn jene, die für die Jugend der einen die Verantwortung tragen, auf jene treffen, die für das Jungbleiben der andern die Verantwortung übernehmen sollen. Da ist jede Menge Konfliktstoff.

Wenn wir mit dem Wissen der Alten ein junges Leben führen könnten, wäre alles besser? Würden Sie Ihrem 20-jährigen Alter Ego eine WG empfehlen?  

Ja. In beide Richtungen. Ich würde als Junger dem Alten dazu raten und als Alter dem Jungen. Ich glaube bloss, dass viele Utopien der WG irgendwie aus der Zeit gefallen sind. Das Leben wird heut in Noten gemessen. Die Kraft der Wirtschaft hat alle Lebensbereiche «monetarisiert». Das Soziale in der Marktwirtschaft droht zu verschwinden.

Wenn die Kommune aus der WG verschwindet, bleibt dann nur noch die Mehrwertsuche?

Die alten Figuren ziehen zusammen, weil das Geld fehlt – unter Zwang. Wie damals. Sie können sich die Stadt nicht mehr leisten. Anne hat ein sinnvolles Leben als Pflegerin geführt. Aber dabei ist nichts rausgesprungen. Sie handelt aus Not. Die Figur des Johannes sucht die Verspieltheit von damals. Er will wieder Frisbee spielen…

Dass die Alten so wunderbar uneitel gespielt sind, macht den Film umso lustiger.

Das ist schön, wenn das so ist. Ich liebe es wenn Leute im Kino lachen.

In welche der beiden WGs würden Sie einziehen?

Ich glaube, die würden mich beide nicht nehmen. Aber ich bin mehr bei den Jungen zu Hause, meine Sympathien sind auf ihrer Seite. Die Jungen können ja mit Recht sagen: Wenn ihr damals besser aus der Kurve gekommen wärt, müssten wir heute nicht über Studiengebühren diskutieren. Die Jungen müssen die Dinge ausbaden, die die Alten verbockt haben. Zum Beispiel, dass sie für die Alten auch noch bezahlen müssen. Was die erleben ist zwar zugespitzt, liegt mir aber näher.

Sie schildern die Jungen aber eher aus Distanz und die Alten aus der Nähe.

Ich habe die Jungen härter angefasst, richtig. Weil man mit sich selber immer härter ins Gericht gehen kann …

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Der WG-Film «Wir sind die Neuen» läuft derzeit u.a. im Basler kult.kino Atelier.

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