Eine Glasbox, in der um jeden Zentimeter gekämpft wird: Das bieten diese Woche die weltbesten Squashspieler in der Zürcher Eventhalle Puls 5.
Gänsehaut-Atmosphäre in der Giesserei-Halle mitten im Trendquartier Zürich-West. Im gleissenden Licht der Scheinwerfer eine knapp 10 Meter lange und gut 6 Meter breite Glasbox. Fast wie Gladiatoren kämpfen darin der Schweizer Aussenseiter Nicolas Müller und der ägyptische Star Mohamed El Shorbagy erbittert um Punkte. Die «Nici»-Rufe von fast 400 Squashfans verwandeln die Halle in ein Tollhaus. Müller gibt alles, nach jedem gelungenen Punkt kommt die Faust. Am Ende nützt alles nichts. Der Lokalmatador, als Nummer 34 der Welt nur dank einer Wildcard ins hochkarätige 16er-Tableau gerutscht, verlor am Mittwochabend nach fast einer Stunde in der 1. Runde nach fünf spektakulären Sätzen.
Obwohl Squash in der Schweiz nur eine Randsportart ist, hat sich der GC-Cup mit einem Preisgeld von 100’000 Dollar zum wichtigsten Turnier in Kontinentaleuropa entwickelt. Einzig die acht World-Series-Events in den USA (3), im Nahen Osten (3), Grossbritannien und Hongkong stehen noch über dem Zürcher Event, der am Sonntag mit dem Final zu Ende geht. Die ersten vier der Weltrangliste sind dabei – und es sind Stars zum Anfassen. Davon macht das mehrheitlich fachkundige Publikum ausgiebig Gebrauch.
Bereits vor seinem Erstrunden-Spiel sitzt der Ägypter Ali Farag, die Weltnummer 6, auf der Tribüne – nicht im VIP-Bereich – und schaut zwei Landsleuten bei ihrem Spiel zu. Die «Pharaonen» sind aktuell die dominierende Nation im Squash. Nummer 1 ist zwar seit einigen Wochen der Franzose Grégory Gauthier, doch in den Top Ten finden sich nicht weniger als sechs Ägypter. Nachdem 1999 Ahmed Barada in den WM-Final vorgestossen war, investierte der damalige Staatspräsident Hosni Mubarak viel Geld in den Aufbau einer Squash-Infrastruktur. Und im Gegensatz zu Simon Ammanns Olympia-Goldmedaillen, die im Schweizer Skisprungsport keinerlei Effekt zeitigten, stieg Ägypten zur Squash-Grossmacht auf.
Dank Squash zur Elite-Uni
Ein Spitzenspieler kann mit Preisgeld und Sponsoreneinnahmen auf rund 1,5 Millionen Dollar Einkommen jährlich kommen. Der 25-jährige Farag brauchte den Sport allerdings nicht, um ein gutes Leben zu führen. Nicht mehr. Er schloss vor drei Jahren sein Maschinenbau-Studium an der Elite-Universität Harvard ab. In drei Jahren für das Uniteam verlor er nur zwei Matches. «Ich hatte zwar kein Stipendium, aber ohne den Sport wäre es viel schwieriger gewesen, aufgenommen zu werden», erklärt er mit einem entwaffnenden Lächeln.
Die Ägypter profitieren von der riesigen Konkurrenz im eigenen Land und den hochkarätigen Trainingspartnern. «Wenn du es in Ägypten schaffst, bist du weltweit top», weiss der Engländer Nick Matthew, Nummer 4 der Welt und dreifacher Weltmeister. Von solchen Standortvorteilen kann Nicolas Müller nur träumen. Der 27-Jährige aus dem Zürcher Landdorf Hirzel trainiert in Paderborn, weil er nur dort geeignete Trainingspartner findet. Beklagen will er sich nicht. In Zürich verdiente er mit dem Out in der 1. Runde immerhin 2600 Dollar. «Für eine fünfköpfige Familie würde mein Einkommen nicht reichen», sagt Müller. «Aber ich komme gut über die Runden.»
Zuletzt kämpfte Müller mit Verletzungen am Kreuzband und in der Wade, konnte oft nicht wie gewünscht trainieren. Das Spiel gegen El Shorbagy, dem er vor elf Jahren an der Junioren-WM ebenfalls in fünf Sätzen unterlag und den er noch nie bezwingen konnte, war sein bestes seit Langem. «Ich bin zufrieden, das gibt wieder Vertrauen für die nächsten Wochen und Monate.» Er müsse gegen diese Topleute am absoluten Limit spielen. «Am Ende ging mir etwas die Luft aus.»
Extrem schnell, extrem dynamisch
Die Profikarriere war für Müller früh vorgezeichnet. Wenn er über seinen Sport spricht, leuchten seine Augen. «Er ist extrem schnell, extrem dynamisch. Es braucht alles: Ausdauer, Schnelligkeit, Technik, Taktik.» Nach der Matura am Sportgymnasium in Zürich stand der Weg für ihn fest. «Ich kann machen, was ich liebe, und verdiene noch Geld damit», streicht er heraus.
Als Tüpfelchen aufs i ist das stetig wachsende Heimturnier dazu gekommen, das zum dritten Mal im Puls 5 stattfindet. Und die Fans ziehen mit. Im letzten Jahr betrug die Auslastung 83 Prozent. «Diesmal werden es rund 95 Prozent sein», erklärt OK-Vizepräsident Mark Meyer. Das Budget ist auf fast eine halbe Million Franken angewachsen. Der Vorteil der Glasbox: Sie kann praktisch überall aufgestellt werden. In New York spielen die Profis in der historischen Grand Central Station, in Ägypten vor den Pyramiden in Gizeh und in Hongkong am Hafen.
Professionell und familiär
Aufgezogen ist die Veranstaltung hochprofessionell – mit grosser Videowand, Platzinterviews und Speaker. Gleichzeitig aber auch höchst familiär. Während die Fans die gratis verteilten Schweizer Fahnen schwenken, pusht Ali Farag seinen Landsmann El Sorbagy nach jedem Satz und versorgt ihn mit Tipps – und das, obwohl er am Freitag im Viertelfinal selber gegen die Nummer 1 des Turniers antreten muss und von einem überraschenden Ausscheiden profitiert hätte.
Der Schiedsrichter, der Deutsche Ralph Harenburger, beobachtet die Partie derweil auf der Haupttribüne und ermahnt die Spieler immer mal wieder. «Mister Meguid», sagt er zum Beispiel auf Englisch. «Ich möchte, dass sie einen grösseren Effort machen, den Ball zu erreichen.» Die Zuschauer hören über das Mikrofon alles mit. Die grössten Diskussionen gibt es im Squash jeweils bei der Frage, ob ein Spieler den anderen behindert hat – und wenn ja, ob absichtlich oder aus Versehen. Im Gegensatz zum Tennis stehen sich die beiden Kontrahenten zuweilen buchstäblich auf den Füssen herum.
Ali Farag schreibt auch zwei Stunden nach seinem Spiel wieder munter Autogramme – bis seine Ehefrau, die Nummer 12 der Welt, mit Einkäufen in einem Coop-Säckli zurückkehrt. Dann beisst er genüsslich in einen Nussgipfel. Auch das ist Squash auf Weltklasse-Niveau: Stars zum Anfassen.