Die Flüchtlingskrise schleicht sich in alle Gespräche am Weltwirtschaftsforum (WEF). Wann immer Mitglieder des Bundesrats in Davos auf ihre europäischen Gesprächspartner treffen, kommt das Thema auf den Tisch. Die Sorge und die Ratlosigkeit ist mit Händen greifbar.
Bundespräsident Johann Schneider-Ammann drückte es vielleicht am drastischsten aus, als er, auf die von Österreich beschlossene Obergrenze und die Rolle der Schweiz als Depositarstaat der Flüchtlingskonvention angesprochen, sagte: «Die Limiten sind vielleicht kurzfristig schockierend.» Aber vielleicht würden sie helfen, die Kette bis dorthin zurückzuverfolgen, wo sie beginne. «Der Schritt wäre dann zu rechtfertigen, wenn er hilft, das Problem an der Wurzel zu bekämpfen.»
Das tönt wie eine Absage an fundamentale Grundsätze des humanitären Völkerrechts. Tatsächlich drückte der Bundespräsident damit aber lediglich eine Einsicht aus, die sich am WEF in den Köpfen der Politiker weiter verfestigt hat: Europa ist nur beschränkt aufnahmefähig und aufnahmewillig.
Steigender Druck
Dass diese Wahrheit am WEF ausgerechnet vom deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck ans Licht gezerrt worden war, verfehlte seine Wirkung nicht. Bundesrätin Doris Leuthard brachte sie im Gespräch auf die schlichte Formel: «Wenn man keine Grenzen setzt, kommt man selber an Grenzen.»
Das Thema sei in allen Gesprächen angeschnitten worden, berichtete Schneider-Ammann. Seiner Meinung nach gilt es dafür zu sorgen, dass die Flüchtlingsströme gar nicht erst entstehen. Er hofft, dass die Diskussion um Obergrenzen den Druck nun so weit erhöht, dass das Problem mit vereinten Kräften angegangen werden kann.
Mit den zusätzlichen 50 Millionen Franken, die der Bundesrat für die Hilfe vor Ort bewilligt hat, ist es allerdings nicht getan. Mehr Hoffnung machen die Bemühungen um Syrien-Friedensgespräche, für die sich Aussenminister Didier Burkhalter auch am WEF einsetzte.
Der neue Finanzminister Ueli Maurer hatte sich vor allem mit dem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble über die Flüchtlingskrise unterhalten. Auch er hofft darauf, dass der Leidensdruck Wirkung zeitigt. «Es fragt sich, ob es gelingt, die Aussengrenze zu schützen, ohne dass jedes Land die eigenen Grenzen schützt», sagte er. Der Druck sei jetzt möglicherweise so gross, dass eine Lösung möglich sei.
Auf alles gefasst
Allerdings mag Maurer nicht völlig ausschliessen, dass Deutschland selber eine Obergrenze für Flüchtlinge einführen könnte. Man müsse auf alles gefasst sein, sagte er. Grundsätzlich gehe er aber davon aus, dass Schengen funktioniere und dass die EU-Aussengrenze geschützt werde.
Die Schweiz sieht er vorläufig auf Kurs. Bei den aktuellen Asylzahlen seien keine zusätzlichen Grenzwächter nötig, sagte Maurer, der als Finanzminister nun für das Grenzwachtkorps zuständig ist. Die vorhandenen Leute würden aber zusätzlich ausgebildet, etwa, um gefälschte Papiere erkennen zu können. Sollte sich die Situation verschärfen, würde ein Einsatz der Armee aber zur Diskussion stehen, sagte er. «Ich hoffe aber, dass wir mit den vorhandenen Leuten durchkommen.»