Silva Keberle war draussen in ihrem Wahlkreis auf Stimmenfang. Und der ist gar nicht so einfach, wie die Grossrats-Kandidatin ihre Erfahrung zusammenfasst.
Noch wenige Wochen bis zu den Wahlen, die Flyer sind verteilt, als wohl letzter Akt stellen die Parteien am Freitag und Samtstag ihre Stände in den Quartieren auf und hissen ihre Fahnen. Der Klassische Ablauf zeigt sich in vier typischen Formen und Szenarien (Aufzählung nach Häufigkeit):
1. Fussgängerin 1 kommt des Weges, erkennt die Kontaktabsicht des Grossratskandidaten, schaut angestrengt in eine andere Richtung und hofft, sie würde nicht angesprochen. Sie schafft es und geht ihres Weges.
2. Fussgänger 2 senkt auch ostentativ den Blick, schafft es aber nicht und wird angesprochen. Der Einstieg ins Gespräch kann sehr variieren: ob er die Partei kenne? Ob er wahlberechtigt sei? Ob er schon gewählt habe? Ob er einen Schluck Orangensaft / einen Kugelschreiber / ein Zündholzpaket wolle? Fussgänger 2 will aber eigentlich lieber weitergehen und meldet: er habe schon gewählt / er ziehe eine andere Partei vor / er wähle schon lange nicht mehr / er sei nicht wahlberechtigt – und verschwindet.
3. Fussgängerin 3 bleibt stehen, lässt sich auf ein Gespräch ein, nimmt die Flyer und Porträts entgegen, verabschiedet sich freundlich und sagt eventuell sogar etwas Nettes über die Partei.
4. Fussgänger 4 hat hohen Kontaktbedarf und bindet den Grossratskandidaten in ein langes und persönliches Gespräch ein, das nur ganz am Anfang noch politisch ist, einen kleinen Schlenker über die Weltlage macht und dann bei den vielen privaten Problemen des Passanten hängen bleibt. Diese Gespräche dauern gut und gerne über 15 Minuten. Über die Wahlen und die erhoffte Stimmabgabe kann nicht gesprochen werden.
So geschehen am letzten Wochenende am Tellplatz. Aber eigentlich geht es ja nicht nur darum, dass man «Stimmen fängt». Als potenzielle/r Grossrat/Grossrätin sollte man auch in Erfahrung bringen, was die Bürgerinnen und Bürger beschäftigt, was sie plagt, für was sie hoffen, dass sich «ihre Grossräte» (die sie wählen könnten) einsetzten werden.
Spiess umgedreht
Also habe ich den Spiess umgedreht. Unter dem Motto «1 Frage,1 Antwort, 1 Geschenk» habe ich versucht, mit den Passanten einen Deal zu vereinbaren: Ich frage sie, was Ihr Wunsch an mich wäre, würde ich denn gewählt; sei es eine Verbesserung im Quartier selbst, sei es eine Verbesserung für ganz Basel. Die Anregungen werden aufgeschrieben und kategorisiert. Als Dank für die Zeit, die sich die Passantin genommen hat, kann sie aus einer Reihe von «Bhaltis» ein Geschenklein auswählen.
Das Angebot ist bescheiden aber vielseitig, alle Gegenstände sind neu – sie stammen aus einer Lagerauflösung eines Kundengeschenke-Anbieters. Von Kinderspielzeugen über Frotteehandtücher und Ofenhandschuhen bis zu allerlei Bürozubehör findet sich fast alles. Nicht optimal war letzte Woche die Bereitstellung in einer Art Wühlkiste. Zu unübersichtlich, und es kommt zu einem Stau, wenn sich mehrere Personen gleichzeitig etwas aussuchen wollen.
Interessant die Auswertung der Verbesserungswünsche: Am ausführlichsten melden sich ältere Menschen. Sie bitten um höhere Traminseln für den Einstieg ins Tram. Oder sie wünschen sich mehr Angebote für Senioren im Quartier, denn die Tage seien manchmal lang. Abfall am Boden und die Sicherheit im Quartier sind ein wiederkehrendes Thema. Aber auch, dass im Gundeli das Zusammenleben mit den verschiedenen Ethnien bereichernd und angenehm sei, wird vermeldet. Ein Stein des Anstosses scheint der «Boulevard» in der Güterstrasse zu sein. Lobende Worte finden sich hier keine – zu viele Falschparkierer und Velofahrer auf dem Trottoir, fast keine Beizlein, die zum Verweilen laden.
Nächstes Wochenende, wenn das Wetter mitmacht, und mit verbesserter Auslegeordnung der «Bhaltis» werde ich einen weiteren Anlauf nehmen. Denn Wahlkampf heisst nicht nur überzeugen, sondern auch zuhören.