Die Kokain-Metropole wird gezähmt

Wer Bogota hört, denkt an Kriminalität, Drogenkriege und Verkehrschaos. Doch diese Zeiten sind vorbei. Innovative Bürgermeister verwandeln Kolumbiens Hauptstadt in eine lebenswerte Stadt.

Wer Bogota hört, denkt an Kriminalität, Drogenkriege und Verkehrschaos. Doch diese Zeiten sind vorbei. Innovative Bürgermeister verwandeln Kolumbiens Hauptstadt in eine lebenswerte Stadt.

Am 1. Januar 2012 wurde Gustavo Petro als neuer Bürgermeister Bogotas vereidigt. Als erste Amtshandlung hat der linke Politiker angekündigt, dass er Schusswaffen in einer der einst kriminellsten Städte der Welt – noch immer werden in Bogota pro Jahr 1600 Menschen mit Schusswaffen getötet – komplett verbieten will. Besonders ­pikant dabei ist, dass der 51-Jährige einst als Guerillakämpfer der «Bewegung 19. April» (M-19) selbst Waffengewalt einsetzte, um den kolumbianischen Staat zu bekämpfen.

Petro setzt die Reihe illustrer Bürgermeister in Bogota fort, die der Stadt in den letzten zehn Jahren mit klugen und teilweise unorthodoxen Mass­nahmen ihren Stempel auf­gedrückt haben. Selbstverständlich ­haben sie dabei vom soliden Wirtschaftswachstum Kolumbiens und der Befreiung grosser Landesteile aus den Händen der Drogenmafia und der Guerillakämpfer pro­fitiert. Dennoch ist Bogota ein gutes Beispiel dafür, wie man mit geschickter Politik die Sicherheit und Lebensqualität einer Stadt erhöhen kann.
Wie in vielen anderen Grossstädten der Welt auch stellt der Verkehr in ­Bogota eine zentrale Herausforderung dar. Eingepfercht zwischen über 3000 Metern hohen Bergen (Bogota selbst liegt auf 2600 Metern über Meer) besteht praktisch kein Raum, mit dem die Stadt ihren mehr als acht Millionen Einwohnern etwas Luft verschaffen könnte. Aus diesem Grund haben Politiker schon früh erkannt, dass innovative Massnahmen nötig sind, um das Verkehrschaos zu bewältigen.

Mit Velos gegen Staus

Bereits in den 1970er-Jahren wurde deshalb die «Ciclovia» ins Leben gerufen – ein autofreier Tag pro Woche in einem Grossteil des Stadtgebiets. In seiner heutigen Form findet die «Ciclovia» jeden Sonn- und Feiertag von sieben Uhr morgens bis zwei Uhr nachmittags auf einer Strecke von insgesamt 120 Kilometern statt. Im Durchschnitt werden diese Aktionstage von bis zu zwei Millionen Menschen genutzt, um auf den ansonsten verstopften Strassen der Metropole Velo zu fahren, ein Picknick durchzuführen oder an einem ­Aerobic- oder Yogakurs teilzunehmen.

Seit dem Jahr 2000 dürfen Bogotas Einwohner ausserdem ihre ­Autos nicht mehr an allen Wochentagen benutzen. Was als Regulierung des Stossverkehrs begann, wurde immer weiter ausgebaut: Heute ist jedes Auto in Bogota nur noch an drei von fünf Wochen­tagen zugelassen.
Das grosse Umdenken hin zu mehr Lebensqualität fand zu Beginn des ­neuen Jahrtausends unter dem grünen Bürgermeister Antanas Mockus statt. Der Mathematiker, Philosoph und ehemalige Universitätsprofessor erlangte Berühmtheit, als er während einer ­Vorlesung die Hosen runterliess, um die Aufmerksamkeit der Studenten im ­chaotischen Hörsaal zu erheischen. Diese Aktion hat ihn dazu motiviert, für das Bürgermeisteramt zu kandidieren, um als Lehrer der Stadt zu fungieren und sie, wie einst seine Studenten an der Uni, zu disziplinieren.

Schauspieler statt Polizisten

Obwohl Mockus keine politische Erfahrung hatte, wurde er gewählt, weil sich die Bogotanos nach einem ehrlichen Politiker sehnten. Kaum im Amt, heuerte er rund 500 Pantomimen an, die auf den grossen Kreuzungen der Stadt Polizisten ersetzten und Leute nachahmten, die Verkehrsregeln missachteten. Die Idee dahinter war, dass Kolumbianer mehr Angst davor haben, öffentlich blossgestellt zu werden, als eine Busse aufgebrummt zu bekommen. Die Rechnung ging auf.

Um die Stadt für Frauen sicherer zu machen und gleichzeitig die Geschlechterrollen zu revidieren, führte Mockus «Ladies’ Nights» durch, während deren nur Frauen in den Ausgang gingen, ­derweil die Männer zu Hause nach den Kindern schauten. Auch hier waren ­keine speziellen Sanktionen nötig: Das ­alleinige Blossstellen reichte, dass die Männer zu Hause blieben. Das Resultat war eindrücklich: In den «Frauennächten» kam es in der Acht-Mill­ionen-Stadt zu keinem Raubüberfall, keiner Vergewaltigung und zu keinem Mord.
Mockus scheute sich jedoch auch nicht, drastische Massnahmen zu ergreifen, um das Leben in Bogota zu verbessern. So löste er die gesamte 2000 Mann starke und notorisch korrupte Verkehrspolizei auf einen Schlag auf und entliess sämtliche Polizisten. Zudem führte er in der feierfreudigen Hauptstadt Kolumbiens eine Polizeistunde ein, um alkoholbedingte Gewalt zu reduzieren – nicht jedoch ohne den Bogotanos die Möglichkeit zu geben, diese Schliessstunde nach hinten zu verschieben, sollte sich die Situation verbessern. Innerhalb weniger Monate ging sowohl die Mordrate als auch die Zahl alkoholbedingter Verkehrsunfälle markant zurück, und die Polizeistunde konnte schrittweise von ein nach drei Uhr morgens zurückverlegt werden.

Innovatives Busssystem

Seit seinem Rücktritt im Jahr 2003 reist der charismatische Mockus um die Welt, um anderen Städten zu zeigen, wie man mit einfachen Massnahmen die Korruption bekämpfen und die Sicherheit erhöhen kann. Im vergangenen Jahr bewarb er sich ausserdem fürs kolumbianische Präsidentenamt, wo er es bis in die Stichwahl gegen den späteren Sieger und heutigen Präsidenten Juan Manuel Santos schaffte.

Das unbestrittene Symbol des modernen Bogota sind jedoch die eleganten roten Busse des TransMilenio, welche auf eigens für sie reservierten Spuren durch die Stadt fahren und ein geschlossenes System darstellen. Auf insgesamt neun Routen bedienen sie 1,4 Millionen Benutzerinnen und Benutzer jeden Tag und ersetzen den Wildwuchs von Hunderten kleiner ­Minibusse durch ein zuverlässiges, sicheres und sauberes Bussystem. Der TransMilenio wird längst als Erfolgsmodell in andere Städte Kolumbiens und Lateinamerikas exportiert – als ­effiziente Lösung für Metropolen wie Buenos Aires oder Mexiko-Stadt, in denen jedes Jahr Hunderttausende von neuen Autos die Kapazität des Stras­sennetzes zu sprengen drohen.

So sehr der TransMilenio dem neuen Bogota ein Gesicht gibt, ist er jedoch auch ein Mahnmal dafür, dass viele Probleme der kolumbianischen Politik noch nicht bewältigt sind. So ist etwa der Vorgänger Gustavo Petros, der Mitte-Politiker Samuel Moreno, ausgerechnet über einen Korruptionsskandal im Zusammenhang mit Bauaufträgen für eine TransMilenio-­Linie vom Stadtzentrum zum Flughafen gestolpert und wartet zurzeit im Gefängnis auf seinen Prozess. Wegen der Veruntreuung der Gelder fehlen der Stadt nun die Mittel, um die geplante Linie fertigzustellen und notwendige Unterhaltsarbeiten durchzuführen. Dies hat zu Unterbrüchen des Busbetriebs geführt und Protestaktionen, teilweise auch gewaltsame, nach sich gezogen.

Stadt soll entwaffnet werden

Gleichzeitig stockt auch die Expan­sion des TransMilenio im reichen Norden der Stadt – hier jedoch vor allem, weil die Bewohner lieber eine Metro oder Strassenbahn hätten, da dies den Weltstadtanspruch Bogotas unterstreichen würde. Dies ist jedoch nicht nur um ein Mehrfaches teurer als die bewährten Buslinien, sondern auch schlecht für die Mobilität in der Stadt, da sich ein solches System nicht ohne weiteres ins bestehende TransMilenio-Netz integrieren lassen würde.

Diese Argumente scheinen den ­neu­en Bürgermeister jedoch nicht zu überzeugen: Wie im Wahlkampf angekündigt, will er nicht auf das Prestigeobjekt Metro verzichten. Wie er allerdings die Mehrkosten finanzieren will, ist unklar. Auch mit seinem ambitiösen Plan, «die Stadt zu entwaffnen», könnte er auf Widerstand prallen, da der Waffenbesitz eigentlich auf Ebene der Republik geregelt wird. Dennoch würde es angesichts der Erfolge seiner illustren Vorgänger nicht überraschen, wenn ausgerechnet Petro als ehemaliger Krieger zum Symbol des Friedens in Bogota würde.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13/01/12

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