Die Schweiz zählt auf internationaler Ebene zu den aktivsten Ländern im Kampf gegen die globale Erwärmung. Im Inland gibt es in Sachen Klimaschutz jedoch noch viel zu tun.
Die Schweiz hat nicht nur Botschafter in den wichtigsten Metropolen von Berlin über Moskau bis Washington, sie hat auch einen Umweltbotschafter: Der Jurist Franz Perrez vertritt als Chef der Abteilung Internationales im Bundesamt für Umwelt (Bafu) die Schweiz an allen wichtigen internationalen Verhandlungen zu Umweltthemen. Er steht als Leiter der Schweizer Delegation ab nächster Woche wieder im Rampenlicht, wenn in Warschau die UNO-Klimakonferenz beginnt.
Schweizer Umweltbotschafter Franz Perrez (Bild: SALVATORE DI NOLFI)
Es geht an diesem Treffen um einiges. Bis 2015 wollen die Teilnehmerstaaten einen internationalen Klimavertrag abschliessen, in dem sich Industrie- und Entwicklungsländer verpflichten, ihren Ausstoss von Treibhausgasen zu reduzieren.
Bis dahin gibt es noch viel zu tun. In Warschau müssen sich die Staaten etwa auf den Fahrplan einigen, bis wann sie ihre Emissionsreduktionen festlegen wollen. Zudem möchte man die Modalitäten für einen grünen Fonds präzisieren, der ab 2020 über 100 Milliarden Dollar jährlich für Klimaschutzmassnahmen in Entwicklungsländern bereitstellen soll.
Tickende Zeitbombe
Perrez ist ein eloquenter Verhandler mit Überzeugungskraft. Der 46-Jährige wurde letztes Jahr anlässlich der Klimakonferenz in Doha (Katar) von der Klimakampagne «Adoptiere einen Verhandler» zu einem der zehn besten Verhandler gewählt. «Diese tickende Zeitbombe hat mehr Strahlkraft als die Sonne und ist das ultimative Mass für Verantwortlichkeit hier an den Verhandlungen. Alle Länder, die ihre Ambitionen in den nächsten Tagen nicht erhöhen wollen, sollen sich in Acht nehmen, Franz wird sie zur Strecke bringen», schrieben die Verteter der Nichtregierungsorganisation. Zur Strecke bringen will Perrez niemanden, mit Argumenten überzeugen aber schon – das wird anlässlich eines Gesprächs in seinem Büro in Ittigen bei Bern rasch klar.
Hat die Schweiz als kleines Land überhaupt die Möglichkeit, den Abschluss eines international bindenden Klimavertrags voranzubringen? «Die Schweiz hat als ambitionierter Verhandlungspartner erstaunlich grossen Einfluss», hält er fest. So hat die Schweiz sich etwa mit Südkorea, Mexiko, Liechtenstein und Monaco zusammengetan und eine eigene Verhandlungsgruppe gebildet, die sowohl Industrie- wie auch Entwicklungsländer umfasst. Das gebe der Schweiz Zugang zu den wichtigen Foren an den Verhandlungen und damit entsprechend Gewicht.
Zudem beteiligt sich die Schweiz aktiv am Cartagena-Dialog, der ins Leben gerufen wurde, um Brücken zu bauen zwischen Entwicklungs- und Industrieländern. Im Kern geht es um die Frage, ob die Industrieländer nicht eine besondere Verantwortung hätten bei der Bekämpfung des Klimawandels, da sie schon viel länger Treibhausgase in die Luft pusten.
Hier hat auch die Schweiz noch viel zu leisten. Das Kyoto-Ziel, die Emissionen bis 2012 um acht Prozent zu reduzieren, schafft unser Land nur dank dem massiven Zukauf ausländischer Emissionszertifikate. Namentlich beim Verkehr hat die Schweiz ihre Reduktionsziele markant verfehlt. Autos, Motorräder, Lastwagen und Flugzeuge sorgen hierzulande noch vor der Industrie für den grössten Anteil an Treibhausemissionen.
Zahnlose Politik
Bei der letzten Revision des CO2-Gesetzes gab das Parlament zwar Gegensteuer und beschränkte die durchschnittlichen Emissionen aller neu verkauften Autos ab 2015 auf 130 Gramm pro Kilometer. Die bürgerliche Mehrheit blockte aber den Versuch ab, auch Treibstoffe der CO2-Abgabe zu unterstellen. Diese gilt nach wie vor nur für Brennstoffe und muss deshalb zwar von Hausbesitzern und Mietern mit Öl- oder Gasheizungen, aber nicht von Autofahrern bezahlt werden. Der Flugverkehr schliesslich ist bisher von jeglichen Abgaben – also auch der Mineralölsteuer – ausgenommen.
Linke und Grüne konzentrieren sich derweilen lieber auf den Atomausstieg. Die Bekämpfung des Klimawandels hat auch für sie höchstens zweite Priorität. Im Wahlkampf vor zwei Jahren war dieses drängende Problem jedenfalls kaum ein Thema.
Das letzte Jahrzehnt war das wärmste seit Messbeginn.
Auch die Bevölkerung ist skeptisch, wenn es darum geht, konkrete Massnahmen zu beschliessen. So wurde im Kanton Bern eine ökologischere Ausgestaltung der Motorfahrzeugsteuer abgelehnt, und in Basel scheiterte eine Vorlage für die Aufhebung von Gratis-Parkplätzen zunächst in der Volksabstimmung.
Zwar gibt es auch Fortschritte. So wird die CO2-Abgabe auf Brennstoffe per Anfang 2014 erhöht, was den Liter Heizöl um knapp 7 Rappen verteuert. Zwei Drittel der Abgabe fliessen in die Haushalte zurück, ein Drittel geht ins Gebäudesanierungs-Programm. Und der Bund erwägt im Rahmen seiner Energiestrategie 2050 eine ökologische Steuerreform, eine Abgabe, die sowohl auf Strom wie auf fossile Energieträger erhoben werden könnte – ebenfalls mit einer Rückverteilung an die Bevölkerung. Aber erstens stehen Ausgestaltung und Höhe der Abgabe noch in den Sternen, und zweitens ist sie frühestens ab 2021 geplant.
Derweil schmelzen die Gletscher, gewissermassen die Kronjuwelen der Schweiz, weiter ab. Das letzte Jahrzehnt war das wärmste seit Beginn der Messungen. Unser Land mit seiner alpinen Bergwelt ist durch den Klimawandel besonders betroffen und hat deshalb auch ein besonderes Interesse daran, die Klimaerwärmung auf maximal zwei Grad zu beschränken. Dafür sind aber noch gewaltige Anstrengungen notwendig. Auch in der Schweiz selbst.
1997 wurde im japanischen Kyoto der bisher einzige international gültige Klimavertrag abgeschlossen. 37 Staaten, darunter auch die Schweiz, verpflichteten sich damals zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen zwischen 2008 bis 2012. Letztes Jahr an der Klimakonferenz in Doha wurde das Protokoll bis 2020 verlängert.
Das Problem besteht darin, dass die Staaten, die sich beteiligen, nur für 14 Prozent aller weltweiten Emissionen verantwortlich sind. Deshalb soll bis 2015 ein neuer Klimavertrag ausgehandelt werden, bei dem alle Länder – also auch grosse Emittenten wie die USA, China, Japan und Brasilien sowie die Entwicklungsländer – mitmachen. In Kraft treten soll der neue Vertrag 2020. Internationales Ziel ist es, die Klimaerwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen. Laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Weltklimarats IPCC ist das Budget der weltweit zulässigen CO2-Emissionen sehr schmal geworden, um dieses 2-Grad-Ziel noch zu erreichen: So sind schon schon zwei Drittel der erlaubten Emissionen in die Atmosphäre gelangt.
Laut Professor Reto Knutti von der ETH Zürich ist das Budget in 25 Jahren aufgebraucht, wenn der weltweite Ausstoss der Treibhausgase auf dem heutigen Niveau bleibt.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 08.11.13