Die Mumins: Aufmüpfigkeit aus dem Bilderbuch

Es muss nicht immer Pippi sein: Eine Liebeserklärung zum 70. Geburtstag der Mumin-Trolle.

Eine Familie wie aus dem Bilderbuch: Die Mumins.

Es muss nicht immer Pippi sein: Eine Liebeserklärung zum 70. Geburtstag der Mumin-Trolle.

Meine erste Begegnung mit den Mumins geschah vor 15 Jahren bei meinen Grosseltern am Stubentisch. Wir hatten gerade zu Abend gegessen und während mein Grossvater den Tisch abräumte, sagte mein Grossmueti bestimmt: «So. Düemer iz no eis schpile?»

Es war keine Frage, das wusste ich genau, es war ein Befehl. Nach dem Essen stets noch ein Jass oder ein Rummikub, das war bei meinen Grosseltern Tradition, ein Ritual, der Start in den Abend, bevor die Tagesschau eingeschaltet wurde.

Mein 12-jähriges Selbst sah das selbstverständlich nicht ein. Traditionen waren was für alte Menschen, für Menschen mit Serviettenringen und separaten Salatschälchen. Für meine Grosseltern. Für mich hingegen waren die «Bravos» bestimmt, die ich oben im Gästezimmer unter meinem Kopfkissen platziert hatte.

Ich faltete langsam meine Serviette zusammen und schielte in Richtung Treppe, in der Hoffnung, meine Grossmutter würde mir meinen Wunsch von den Augen ablesen und mich meine Foto-Love-Stories lesen gehen lassen. Tat sie natürlich nicht. Fröhlich holte sie ein Deck Karten aus der Spiel-Kommode und fing an, sie munter plaudernd durchzumischen.

Lieber Mumienspiel als Jass-Trott

Ich blinzelte gelangweilt zur Kommode, die einen Spalt breit offen stand. Ganz hinten zwischen all den Kartendecks und Scrabble- und Trivial Pursuit-Kartons guckte eine fantastisch farbige Schachtel hervor. «Das Mumin-Spiel» stand darauf und ich dachte: «Lieber so ein Mumien-Spiel als schon wieder ein Schieber», lief zur Kommode und holte das Spiel heraus. 

Seit jenem Abend sind die Mumins aus dem Mumintal meine engen Vertrauten. Die kleinen nilpferdähnlichen Trolle aus Finnland bescherten mir nicht nur drei Gewinne hintereinander, sie bewahrten mich auch vor der nahenden Diddl-Manie, diese grauenhafte Maus, die in den 90ern von den Invicta-Rucksäcken baumelte und auf jedem Briefpapier prangte – eine furchtbare infektiöse Geschmacksverirrung.

Kinderbücher nicht nur für Kinder

Das ist das Besondere an den Wesen aus dem Mumintal: Sie sind meilenweit entfernt von den schmalzigen Diddls, Hello Kittys und Prinzessin Lillifees, die die Welt mit ihrer Belanglosigkeit verderben. Die Figuren der finnlandschwedischen Autorin und Illustratorin Tove Jansson erleben Abenteuer mit Substanz und behandeln Themen, die keineswegs nur für Kinder sind.

Das Mumintal ist nicht immer idyllisch, es wird von schlimmen Wintern und Naturkatastrophen heimgesucht. Manchmal gibt es nicht genug zu essen, die Eltern haben Identitätskrisen und die Jungen sind auf Sinnsuche. In der Grossfamilie Mumin wohnen nicht nur der kleine Mumin, sein Papa und seine Mama Mumin, sondern auch eine Vielzahl von Wesen, eine bunte Mischung von Kleinfamilie und Wohngemeinschaft. 

Das erste Mumin-Buch erschien 1945, noch vor dem Spiel und der Fernsehserie und zeitgleich mit Pippi Langstrumpf. Wie auch Pippi sind die jungen Figuren aus dem Land der Mumins ein Abbild der dazumal angesehenen Reformtheorie des Erziehungssystems, die sich bewusst vom Autoritätsprinzip abwendete: Sie sind stark und unabhängig, leben nach dem Lustprinzip und  setzen sich über die Normen der Erwachsenenwelt (die entweder naiv oder spiessig ohne Durchsetzungswillen ist) hinweg, ohne dabei sozial inkompetent zu sein. Frei nach dem Efraimstochter-Langstrumpf-Prinzip: «Wir machen uns die Welt widdewidde, wie sie uns gefällt.»

Während Pippi Langstrumpf rasch Einzug hielt in die Kinderzimmer der Welt, führten die Mumins stets ein Schattendasein ausserhalb Skandinaviens. Warum, ist mir unerklärlich. Und dass sie ausgerechnet den Weg in die Stube meiner Grosseltern fanden, ebenso.

Meine Grossmutter mag sich heute nicht mehr an das Spiel erinnern, mein Grossvater aber nickte lächelnd, als ich ihn kürzlich darauf ansprach: «Du warst unausstehlich, wenn du das Spiel gespielt hast. Ständig im Siegestaumel.» Er habe es irgendwann unauffällig entsorgt, damit wir wieder in Ruhe jassen konnten. Soviel zum Efraimstochter-Langstrumpf-Prinzip.

 

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