Gäbe es mehr Grossmütter wie die von CVP-Nationalrat Pirmin Bischof, würde die Finanzwelt heute anders aussehen.
Nein, meine Grossmutter war keine Demonstrantin. Zusammen mit Grossvater, Lehrer in Nunningen, brachte sie eine neunköpfige Familie durch die harte Zeit zwischen den zwei Weltkriegen. Oft durften meine Schwester und ich mit Grossmutter im Schwarzbubenland zum «Chirsibräche». Korb umgebunden und auf die Bäume! Die Kirschen brachen wir samt den Stielen, aber ohne Zweige und Blattwerk. «Dass d Böim chöi noochewachse», sagte sie und kannte dabei das Wort «Nachhaltigkeit» noch gar nicht. Nach zwei vollen Körben sagte Grossmutter jeweils: «So, das längt, die angere müesse au no öppis haa.» Das waren noch Zeiten.
Meine Grossmutter ist vor 25 Jahren gestorben. Wenn ich ihr heute erzählen würde, dass einige Spitzenbanker einen «Lohn» von fünf oder mehr Millionen Franken im Jahr bekommen, höre ich sie fragen: «Chaa me denn soo vill verdiene?» Ja, ist das wirklich «Lohn»? Zumindest sollte das Recht heute dafür sorgen, dass Firmen, die solche Übergehälter zahlen, nicht noch steuerlich bevorteilt werden, und zwar gegenüber all den vielen «normalen» Klein- und Mittelbetrieben, die ihre Gewinne doppelt, nämlich in der Firma und dann beim Dividendenbezüger, versteuern müssen.
Wenn ich Grossmutter weiter erzähle, dass ein Händler in einer Schweizer Bank kürzlich über zwei Milliarden Franken verspielt habe, würde sie mich wohl ungläubig lächelnd ansehen und sagen: «Dasch jo gar nid mööglech.» Wenn sie es dann in der Zeitung läse, würde sie wohl den Kopf schütteln und fragen: «Hei denn die nid uufpasst?» Ja, wie konnte das passieren? «The Big Bang», die grosse Deregulierung der Finanzmärkte, hat befreit, entfesselt, ungeahnte Gewinnmöglichkeiten geschaffen. Vielleicht wurden dabei aber ungeahnte Risiken freigesetzt. Wenn Entfesselte selber «nid uufpasse», ist Regulierung nicht unliberal, sondern unverzichtbar.
Wenn ich Grossmutter weiter erzählt hätte, dass die Schweiz ihre grösste Bank habe retten müssen, weil die Risiken höher als die Mittel waren, hätte sie mich wohl gefragt: «Wieso hänn denn die ohni Gäld chönne gschäfte?» Tatsächlich mussten Banken (auch hierzulande) Risiken nur mit wenig Eigenmitteln unterlegen. Hier hat die Politik nach dem UBS-Schock von 2008 entschieden gehandelt. Das neue «Too big to fail»-Gesetz zwingt Grossbanken, massiv mehr Eigenkapital zu halten. Die Schweiz ging hier voraus. Das zunächst zögerliche Resteuropa zieht nun nach.
Haben Sie auch so eine Grossmutter aus dem Schwarzbubenland? Würde sie Ihnen ähnliche Fragen stellen? Sind diese Fragen naiv, veraltet, unmodern? Oder könnte uns Grossmutters Einstellung zu den Kirschen helfen, eine nächste Krise zu verhindern?
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28/10/11