Ab 1. Januar 2013 gelten neue Altersfreigaben im Kino und für Filme auf Datenträgern. Die Schweiz orientiert sich dabei an der deutschen FSK, was nicht nur von Vorteil ist.
Im Sommer 2012 hat die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) eine neue Regelung für die Altersfreigaben von Filmen beschlossen. Am 1. Januar 2013 soll sie in Kraft treten. Wer in Basel ins Kino geht, wird künftig die gleichen Altersangaben für seinen Film finden wie in Lugano und Lausanne. Die dafür notwendigen Altersfreigaben werden nicht mehr von verschiedenen kantonalen Film-Kommissionen unterschiedlich festgesetzt, sondern schweizweit gültig sein.
Die Altersfreigaben sollen sich ausserdem mit der «Vereinbarung über eine schweizerische Kommission Jugendschutz im Film» in der Regel an der deutschen «Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK)» orientieren. Sie sind künftig weiter nicht nur für öffentliche Filmvorführungen gültig, sondern auch für die kommerziellen audiovisuellen Bildtonträger. Was im Kino gilt, gilt künftig also auch für DVDs. Die Orientierung an der FSK hat allerdings nicht nur Vorteile.
FSK – die Reaktion auf den Totalitarismus
Filmzensur ist immer ein heikles Thema. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Deutschland eine neue Regelung für die Filmindustrie suchte, wollte man genau diese staatliche Bevormundung nicht wieder einführen. Man wollte aber auch nicht die politischen Gefahren verniedlichen, die instrumentalisierte Filme bieten – zu sehr waren gerade die Medien Instrumente der Nationalsozialisten gewesen.
Die deutsche FSK war das Resultat der jungen Demokratie in Deutschland, die Industrie federführend in den Beurteilungsprozess einzubinden und beschlussfähig zu machen, und die Zuständigkeiten weit gestreut zu verteilen. Wie sieht das aber heute aus? Wie sind die Altersabstufungen entstanden? Wie kommt eine Altersangabe der FSK zustande, die bei uns auf fast allen DVD aufgeklebt ist?
Kino und DVD sind nicht vergleichbar
Die deutschen Altersabstufungen sind 0, 6, 12, 16, 18 Jahre. Was auf den DVD zu lesen ist, sind juristisch bindende Altersfreigaben. Sie schreiben auf gesetzlicher Grundlage einem Veranstalter bei einer öffentlichen Vorführung vor, ab welchem Alter er den Besuch für Kinder und Jugendliche zulassen darf und ab welchem Alter er den Datenträger dem Kunden verkaufen darf. Die Altersfreigabe betrifft also auch den Verkauf oder Verleih von Filmen.
Diese Gleichsetzung bringt ein erstes Problem mit sich: Wo eine DVD mit Alter 0 einen nützlichen Hinweis für Eltern beim Kauf bietet, ist es für Veranstalter im Kino keine grosse Hilfe. Die Altersfreigabe könnte zum Rückschluss führen, dass man ein dreijähriges Kind für 80 Minuten mit «Finding Nemo» im Kino allein lassen könne. Die Lernformen von Kindern in diesem Alter sind aber vornehmlich physisch und mimetisch. Die Konzentration reicht in diesem Alter ohnehin nicht für 80 Minuten Stillsitzen aus. Diese Bedenken fallen hingegen zuhause weg. Das Kind wird dann schon vom Bildschirm weglaufen, wenn es sich langweilt.
Kommt jetzt nach dem Kantönligeist der EU-Flickenteppich?
Die Abstufungen der FSK erweisen sich auch im europäischen Vergleich durchaus als diskussionswürdig. Insbesondere die Übergänge von 8 auf 12 und 12 auf 16 Jahre werden kontrovers diskutiert: Die nordischen Länder sehen einen bedeutenderen Entwicklungsschub bei 14 oder 15, nicht bei 16 Jahren. Sie stufen die Ironiegrenze – jene Grenze also, ab welcher ein Kind erkennen kann, ob Gewaltverherrlichung ironisch gebrochen oder ernst gemeint ist – etwa bei 10 Jahren ein. Die Franzosen wollen grundsätzlich erst ab der Stufe von 12 Jahren bei der Altersfreigabe überhaupt mitreden. Zudem weisen auch Ärzte in der Schweiz zunehmend auf das frühere Einsetzen der geschlechtlichen Reife und der damit verbundenen Fragestellungen und Entwicklung hin. Die unterschiedlichen Einschätzungen führen letztlich zu unterschiedlichen Resultaten.
Wer den Film «Drive» sehen will, kann ihn in Mulhouse ab 12 Jahren sehen, in Basel ab 16, in Deutschland ab 18, in Dänemark und Schweden ab 15. Die Unterschiede, die wir anhin regional in der Schweiz hatten, werden also mit der neuen Regelung nicht verschwinden. Im Gegenteil, es werden neue Fragen auftauchen, zum Beispiel: Warum macht die FSK zwischen 8 und 12 Jahren sowie zwischen 12 und 16 keine Zwischenstufen?
Die FSK unterscheidet nur grob
Die FSK hat sich für eine Beibehaltung der groben Einstufung vor allem deshalb entschieden, weil eine Änderung der Praxis in den Augen der Verantwortlichen mehr Verunsicherung bringt als das Festhalten auf den bisherigen Abläufen. Sie sind zwar kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt worden und entsprechen nicht den aktuellen Bedürfnissen, aber die FSK beruft sich auf Gewohnheitsrecht.
Das Beharren auf den bisherigen Stufen hat aber auch ganz praktische Gründe: Das Alter der Kinobesucher festzustellen, ist die Aufgabe der Kinobetreiber. Das mag zwischen 8 und 12 Jahren noch einigermassen gehen. Aber wer will an der Kinokasse entscheiden können, ob ein Kind 8, 10 oder 12 Jahre alt ist? Auf Ausweiskontrollen wird normalerweise verzichtet.
Seit es die Altersfreigaben gibt, gibt es also die Diskussion darum. Je feiner die Staffelung, desto genauer könnte man für Eltern die Entwicklungsstufen abbilden. Desto schwieriger wird aber die Praktikabilität für Kinobetreiber. Der entgültige Entscheid für die Abstufungen in Deutschland fiel aber letztlich mehr aus Gewohnheit denn aus unbesehener Bequemlichkeit.
Wie kommt eine Altersfreigabe zustande?
Die FSK wird auf Antrag tätig, deshalb auch der Name Freiwilllige Selbstkontrolle. Verleiher oder Produzenten, die einen Film begutachtet haben wollen, führen den Film einem Prüfungsausschuss vor, der ihn anschliessend freigibt. Der Prüfungsausschuss besteht in der Regel aus fünf Personen. Für die Besetzung gibt es einen Schlüssel: Vertreten sind Gender-, Religions- und Jugendschutzsachverständige sowie staatliche Vertreter, Kirchen, der Zentralrat der Juden, die Kultusministerkonferenz und viele mehr. Insgesamt werden jeweils 5 aus 270 Personen ausgewählt. Die Prüfer wissen nicht, welchen Film sie sehen werden. Ebenso kennen die Antragsteller die Prüfer nicht.
Ist der Prüfausschuss einberufen, entscheidet er nach Sichtung des Filmes über die vermutete Wirkung auf Kinder oder Jugendliche. Die Prüfer sind gehalten, eine mögliche Entwicklungsbeeinträchtigung für Jugendliche zu beurteilen. Die Prüfer handeln also eigenständig. Eine Wirkungsdiskussion kann zwanzig Minuten und im Extremfall auch mal zwei Stunden dauern, an deren Ende eine Abstimmung steht mit einem Mehrheitsentscheid – ohne Enthaltungsmöglichkeit. Wenn der Antragsteller die Altersfreigabe akzeptiert, ist sie gültig. Wenn nicht, stellt er einen Antrag an die nächste Instanz. Einen solchen Antrag kann aber auch die unterlegene Minderheit aus dem Prüfausschuss machen.
2011 hat die FSK so 411 Filme fürs Kino geprüft und 1654 für die Veröffentlichung auf DVD. Darüber sichtet die FSK auch sämtliche weiteren filmischen Inhalte (Trailer, Bonus-DVDs etc.). Das heisst, es werden pro Jahr knapp 8000 Prüfungsentscheide gefällt.
Die FSK legt bei der Beurteilung besonderes Augenmerk auf die Darstellung von Gewalt. Hier ist sie in der Regel kritischer als zum Beispiel die Ratings, die in den USA gelten, das heisst die mögliche Wirkung auf Kinder wird höher eingeschätzt. Die Darstellung von Nacktheit (nicht Sexualität) wird in Europa eher liberaler oder unproblematischer gesehen, weil bei Kindern die Konnotationen zur Sexualität noch nicht derart entwickelt seien. Die nordischen Länder sind da im internationalen Vergleich noch liberaler, auch in erotischen Fragen.
Die Spitzenorganisation der filmwirtschaftlichen Verbände finanziert die Altersfreigaben über die Prüfgebühren. Pro Minute verrechnet so die FSK dem Verleiher 10,63 Euro. Trotzdem zahlt auch der Staat – etwa für den Lohnausfall für staatliche Vertreter, Spesen, Aufenthalt, Reisen und ähnliches. Ausserdem gibt es sechs festangestellte Personen bei der FSK.
Auf die Schweiz übertragbar?
Der Entscheid der KKJPD, sich an die FSK-Beschlüsse anzulehnen, hat zu einigem Rumoren in den welschen Landesteilen geführt, scheint aber vorerst ein kleinstmöglicher Kompromiss, um Kosten zu sparen. Allerdings sieht die «Vereinbarung über eine schweizerische Kommission Jugendschutz im Film» vor, dass Filme in der Schweiz ab 0, 6, 8, 10, 12, 14, oder 16 Jahren freigegeben werden können, in besonderen Fällen auch ab 18 Jahren. Da man sich allerdings an die deutsche FSK anlehnen will, bleibt die Frage offen, wie die Feinabstimmung vorgenommen wird, ohne dass ebenfalls die Filme visioniert werden.
An den Kinokassen dürfte die neue Regelung letztlich kaum für Veränderung sorgen: Die Altersangaben gelten weiterhin – nur eben jetzt schweizweit. Bestehen bleibt auch der Zusatz, dass Kinder in Begleitung ihrer Eltern zwei Jahre unter dem Freigabealter mit ins Kino dürfen. Wer dennoch mehr Informationen zu den Altersfreigaben möchte, findet sie auf der Website der Schweizerischen Kommission Jugendschutz im Kino. Für alle weiteren Informatonen dürfen wir gespannt nach Bern blicken, dort stellen die Verantwortlichen das neue Konzept am Montag den Medien vor.
Hansjörg Betschart ist sowohl Mitglied der kantonalen Film- und Medienkommission der Kantone Baselland und Basel-Stadt wie auch der neuen Schweizerischen Kommission Jugendschutz im Film.