Die Selbst-Er-Findung des «Electroboy»

Als Florian Burkhardt ein Star wurde, wusste er nicht so recht warum. Marcel Gisler hat einen Film über Florians Zweifel gemacht. Und seinen Glauben an sich selbst. .   Der internette Electroboy Florian ist kein Star. Er will auch keiner  sein. Er will schon gar keiner werden. Dennoch lässt er sich von seinem Bewunderer intim […]

Als Florian Burkhardt ein Star wurde, wusste er nicht so recht warum. Marcel Gisler hat einen Film über Florians Zweifel gemacht. Und seinen Glauben an sich selbst. .

 

Der internette Electroboy

Florian ist kein Star. Er will auch keiner  sein. Er will schon gar keiner werden. Dennoch lässt er sich von seinem Bewunderer intim hofieren und chauffieren, als wäre er tatsächlich ein Star. Er lässt Photo-Shootings über sich ergehen. Er zieht Luxusklamotten an und aus. Er jobbt als Kleiderständer. Doch er findet nur das, was auch uns beschleicht, während er seine Geschichte erzählt: Leere.




Die Erfindung eines Selbst

Florian Burkhardts Geschichte, die bei der «Semaine de la Critique» in Locarno ausgezeichnet wurde, wirkt erst einmal so oberflächlich, als müsste man Paris Hilton zuhören, wie sie beim Schminken versucht Mozarts «Cosi fan tutti» zu erklären. Erst bei längerem Hinhören wird Florian fassbar. Aber was will uns diese höchst private Lebensbeichte eines erwachsenen Knaben erzählen? Marcel Gisler präsentiert in «Electroboy» einen ganz eigenen Weg zur Selbst-Findung.

Was erst so aussieht wie das etwas absonderliche Coming Out eines jungen Schweizers, gewinnt allmählich Kontur. Marcel Gisler seziert ein höchst anschauliches Beispiel für die Fabrikation der Fiktionen: «You are, what you think, you are». Das kann funktionieren, sobald Florian jemanden findet, der – neben ihm selbst – an seine Selbsterfindung glaubt – bis er selbst daran glauben muss. Er steigt aus, nicht ganz freiwillig.

Ein Riss geht durch eine Basler Familie

Aber erst einmal glauben immer mehr an Florians Starship. Es fällt ihm selber immer schwerer, selbst nicht daran zu glauben. So funktioniert die Traumfabrik für Florian wie im Traum. Aus dem ernannten Star wird ein bewunderter Star, der sich selber immer weniger wie einer fühlt. Die Leere wird mit viel Hülle ummantelt.

Doch auch dies ist im Film von Marcel Gisler noch nicht wirklich abendfüllend. Erst als ein Riss zwischen Sein und Schein im wirklichen Leben sich auftut, gewinnen die Beteiligten an dieser Fiktion langsam Klarsicht. Erst als es im Familienkreis der Burkhardts zum Bruch kommt, drängt hinter der Fassade die  Wirklichkeit an den Tag. Mit dem Zerbrechen der Familien-Illusion geraten auch andere Kulissen ins Wanken.

Schliesslich ist es nicht der Sohn, der mit der Familie bricht: Es ist die Mutter, die mit ihrer Weigerung auch andere Brüche in der Familie sichtbar macht. Ihre Ehe ist seit langem nur Schein. Florians Elternhaus kriegt Risse. Wie der Vater möchte auch die Mutter lieber die Augen vor dem Sohn verschliessen. Von der Modelkarriere ihres Sohnes haben beide mitgekriegt, was sie von dessen Homosexualität wissen wollen – nicht gerade viel.

Gislers Beharrlichkeit

Gisler wechselt spät – und klug – die filmische Aussenschau zur Innneschau. Von den Ereignissen während der Dreharbeiten überrascht, wird der Dokumentarfilmer zum Berichterstatter, und wir sind live dabei, wie Florians Mutter sich ihrem Gatten und Söhnen verweigert. Plötzlich bricht ein Leben ohne Zärtlichkeit auf.




Drei Männer bleiben ratlos zurück. Der Vater, der seine Frau erst jetzt kennenlernt. Der Bruder, der vom Leben der anderen nichts weiss. Und Florian, der Electroboy, der es in seiner Familie nicht zum Star gebracht hat.

Marcel Gisler hat einen langen Atem bewiesen, und ein genaues Auge: War die Leere zu Beginn noch inhaltslose Oberfläche, ist sie zum Schluss verstörende Oberflächlichkeit. Es bleibt ein Vakuum, das einen spätestens spätestens dann nicht mehr loslässt, als Mutter Burkhardt aus der Deckung kommt – ein einehmender Versuch zur Ehrlichkeit. 

Der Film  läuft in den Kult-Kinos.

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