Do heschs Geschängg 1- Ein Film wie im Buch

Wie legt man dem Filmaficionado ein Kino unter den Weihnachtsbaum? Da Film im Kopf stattfindet, ist am besten immer noch ein – Buch. Lichtspiel-Bücher führen zwar in Buchhandlungen ein Schattendasein. Trotzdem ist nichts erhellender, als zwischen zwei Buchdeckeln im grossen Kino zu schwelgen. In loser Folge deshalb ein paar Filmbuchtipps. Wie legt man dem Filmaficionado […]

Wie legt man dem Filmaficionado ein Kino unter den Weihnachtsbaum? Da Film im Kopf stattfindet, ist am besten immer noch ein – Buch. Lichtspiel-Bücher führen zwar in Buchhandlungen ein Schattendasein. Trotzdem ist nichts erhellender, als zwischen zwei Buchdeckeln im grossen Kino zu schwelgen. In loser Folge deshalb ein paar Filmbuchtipps.

Wie legt man dem Filmaficionado ein Kino unter den Weihnachtsbaum? Da dort bei den wenigsten ein Kino Platz hat, ist am besten immer noch ein – Buch. Lichtspiel-Bücher führen zwar in Buchhandlungen ein Schattendasein. Trotzdem ist nichts ist erhellender, als zwischen zwei Buchdeckeln im grossen Kino zu schwelgen. Mein erster Tipp: «Poetik der Schärfenverlagerung»

Als im «Spiderman» eine gefährliche Spinne entkommt, erfahren die Studenten dies im Labor –  in unserem Beisein. Peter Parker, der spätere Super-Hero, befindet sich unter den Studenten, die – wortwörtlich – unter uns sind, denn die Kameraposition, hoch über den Köpfen, vermittelt uns eine ungewöhnliche Aufsicht über die Gruppe. Von weit oben sehen wir Peter Parker, erst scharf, dann zunehmend in der Unschärfe, bis uns, im gleichen Blickfeld, in einem Netz hoch über seinem Kopf, direkt vor uns im Vordergrund, die Spinne auffällt. Mit einer einzigen Schärfeverlagerung vom Hintergrund in den Vordergrund setzt das Bild uns ins Bild und entlässt uns mit einem Wissensvorsprung in die Geschichte. Für Spannung ist gesorgt: Wir wissen wo die Spinne sitzt: Direkt vor unserer Nase. Die Studenten im Bild sind nur noch eine unscharfe Ahnung.

Wie viele Schärfeverlagerungen durch Kameraobjektive uns in all den Filmen, die wir bereits gesehen haben, schon begegnet sind, macht uns Tereza Smid in ihrer «Poetik der Schärfenverlagerung» ganz nebenbei bewusst. Indem sie uns mit unzähligen Belegen anhand von einem einzigen, scheinbar technischen Phänomen, durch die Filmgeschichte führt, macht sie es uns für zu einer hochinteressanten Hauptsache. Anhand der Analyse eines kleinen Teils der Kameraarbeit, rückt sie uns eine fast nebensächlichen Aspekt der filmischen Montage ins Zentrum unseres Interesses.

Was sie im ersten Teil des Buches historisch herleitet und dokumentiert, führt sie uns im zweiten Teil vor Augen: Wir sehen nicht immer, wenn wir schauen! An den einfachen Beispielen der Schärfeverlagerungen eröffnet Smid uns die Gesetze der selektiven Wahrnehmung. Sehen und visuelles Erleben sind nicht gleichzusetzen. Es ist unser Interesse, welches die Wahrnehmung steuert. Und unser Interesse wird von Bildausschnitt ebenso geweckt, wie vom Spiel der Schärfe, das uns in den Raum stösst, das Räume für uns öffnet, das Interessantes in den Vordergrund rückt, oder, es uns in die Ferne entrückt. In unzähligen Beispielen wird, teils mit Fotos, teils mit Beschreibungen, dokumentiert, wie die Kamera dabei nachhilft, wie sie uns geradezu vorschreibt, was unseren Blicke fangen soll. Erst schauen wir bloss – ehe wir anfangen zu sehen.

Tereza Smid hält unzählige Augenblicke fest, die uns im Filmfluss oft entgehen, lässt sie still stehen, löst sie von der technischen Machart, bietet uns Interpretationsansätze, macht uns letztlich zu Film-Lesern. Die Gesetze der Narration streift sie ebenso, wie die Fabrikationsmechanismen der Emotion in der Traumfabrik. Auch wenn ihr nur in der Betrachtung einer simplen Objektiv-Bewegung folgen: Nach dem dritten Teils des Buches sind wir durch eine nahezu vollständige Poetik des Films gewandert, mit Fokus auf die Schärfenverlagerung. Wenn sich das Buch auch schwergewichtig an filmwissenschaftlichen Gesichtspunkten orientiert: Es öffnet auch dem Laien die Augen für eine der vielen Kompositionsmerkmale filmischen Schaffens.  Allein die gut präsentierten Fotoausschnitte lassen uns noch einmal eine Unzahl von Filmen Revue passieren – oder, machen uns neugierig auf sie.

Tereza Smid lässt kaum Fragen unbeantwortet. Ausser vielleicht die eine: Wer zieht denn jetzt eigentlich die Schärfe, wenn sich zum Beispiel eine Figur durch die ganze Tiefes eines Bildes bewegt, und dabei immer im Fokus bleiben soll? Und finden wir diesen auch auf dem Abspann? Ja, wir finden ihn: Den Schärfenzieher. Oder den Kamera-Assistenten. Was wir aber über die Prinzipien der Montage, der Narration, der Enunziation oder der Kameraoptik erfahren, weckt schöne Erinnerungen an all das Geschaute, das wir doch eigentlich nicht gesehen haben, wenn wir die Genauigkeit von Smid als Massstab nehmen wollten.

Nächster Artikel