Ein Jahr nach der Verfolgungswelle gegen Bürgerrechtsanwälte und Aktivisten in China ist das erste Urteil gefallen. Wegen «Untergrabung der Staatsgewalt» verurteilte ein Volksgericht in Tianjin den 55-jährigen Dissidenten Zhai Yanmin am Dienstag zu drei Jahren Haft.
Das berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Die Strafe fiel vergleichsweise milde aus, weil Zhai die gegen ihn erhobenen Vorwürfe laut Xinhua «einräumte». Er habe ausserdem gegen die bekannten Menschenrechtsanwälte Zhou Shifeng und Li Heping ausgesagt.
Zhai war vor im vergangenen Sommer im Zuge einer Festnahmewelle gegen Aktivisten und Anwälte festgenommen worden. Von den mehr als 200 Betroffenen sitzen rund ein Dutzend noch unter dem Vorwurf der Untergrabung der Staatsgewalt in Haft. Weitere Prozesse werden noch in dieser Woche erwartet.
Zhai war im Prozess unter anderem zur Last gelegt worden, bei vier Demonstrationen seit 2014 unter anderem Protestplakate hochgehalten und Parolen gerufen zu haben.
Durch seine Teilnahme an diesen «illegalen und provokativen Versammlungen an öffentlichen Orten» habe Zhai «die nationale Rechtsordnung angegriffen», urteilten die Richter. Zusammen mit mehreren Menschenrechtsanwälten habe Zhai vorgehabt, «die Staatsmacht zu stürzen».
Zhais Ehefrau Li Ermin konnte nicht an der Verhandlung teilnehmen, weil sie am Dienstag unter Hausarrest gestellt wurde, wie ein enger Freund der Nachrichtenagentur AFP sagte. Auch ausländischen Journalisten wurde von Polizisten der Zutritt zum Gerichtsgebäude verwehrt. Ob Zhai nach dem Urteil freigelassen wurde, war zunächst unklar.
Kritik von Menschenrechtsgruppen
Menschenrechtsorganisationen verurteilten das Vorgehen und forderten die sofortige Freilassung aller Inhaftierten. Die Gruppe China Human Rights Defenders (CHRD) verurteilte «die zunehmende Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern unter dem Vorwand einer sogenannten Gefahr für die nationale Sicherheit».
Nach dem Urteil sagte Patrick Poon, Forscher von Amnesty International: «Es gab nicht eine einzige Verfahrensweise, die in Übereinstimmung mit internationalen Standards für einen fairen Prozess erschien.»
Video-Geständnis von Anwältin
Für Wirbel sorgte zudem ein veröffentlichtes Video-Geständnis der bekannten Anwältin Wang Yu, das laut Menschenrechtsgruppen und befreundeten Juristen unter Zwang zustande gekommen sein dürfte. Ihre ungewöhnliche Wortwahl erinnerte Kritiker an ähnliche Geständnisse, die Chinas Staatsmedien von anderen Inhaftierten veröffentlicht haben.
Wang Yu, die ebenfalls wegen «Untergrabung der Staatsgewalt» angeklagt ist, arbeitete für die nun geschlossene Pekinger Kanzlei Fengrui, die bekannte Menschenrechtsfälle übernommen hatte.
Im Geständnis kritisierte die Anwältin ihre früheren Kollegen in der Kanzlei und lobte das chinesische Rechtssystem. Wang Yu, die internationale Auszeichnungen erhalten hat, zeigte Reue und distanzierte sich von ihrer früheren juristischen Arbeit.
Nach dem Video-Geständnis wurde sie nach Berichten in Chinas Staatsmedien bis zu ihrem Prozess auf Kaution auf freien Fuss gesetzt. Nach Überzeugung von Menschenrechtlern ist Wang Yu aber nicht wirklich frei, sondern weiter unter strenger Bewachung.
Die 45-Jährige galt als mutige Anwältin. Sie hatte den berühmten uigurischen Bürgerrechtler Ilham Thoti verteidigt, der wegen Separatismus zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Auch vertrat sie fünf Feministinnen, die wegen Aktionen gegen sexuelle Belästigung in öffentlichen Verkehrsmitteln vorübergehend inhaftiert worden waren.