Aus mindestens drei Richtungen sind die Dschihadisten im Irak am Freitag weiter auf Bagdad vorgerückt. In einem Umkreis von weniger als hundert Kilometern näherten sie sich der Hauptstadt aus den Provinzen Al-Anbar im Westen, Salaheddine im Norden und Dijala im Osten.
In der irakischen Hauptstadt Bagdad bereiteten sich Sicherheitskräfte und Bürger auf mögliche Angriffe der Dschihadisten vor. Augenzeugen berichteten von massiven Sicherheitsmassnahmen. Polizei und Soldaten patrouillierten durch die Strassen, Kontrollposten wurden aufgebaut. «Die Sicherheitskräfte sind in maximaler Alarmbereitschaft», verlautete aus Sicherheitskreisen.
Der Direktor des Instituts für Militäranalyse im Nahen Osten und am Golf, Riad Kahwadschi, schätzte die Zahl der kampfbereiten Dschihadisten in den Regionen nördlich von Bagdad auf bis zu 15’000.
Im Ostirak bereiteten sich kurdische Truppen auf eine Gegenoffensive vor. Das Mediennetzwerk «Rudaw» berichtete, die Peschmerga-Soldaten hätten ihr Einflussgebiet über Kirkuk hinaus ausgeweitet. Die kurdische Armee sei rund 50 Kilometer weiter gen Süden vorgedrungen.
Zuvor hatte ISIS (Islamischer Staat im Irak und in der Levante) laut Medienberichten die Stadt Dschalula sowie die Ortschaft Saadija in der Provinz Dijala übernommen. Dort leben neben Arabern viele Kurden und Turkmenen. Dschalula liegt 125 Kilometer nordöstlich von Bagdad und ist nur 35 Kilometer Luftlinie von der iranischen Grenze entfernt.
Der irakische Grossajatollah Ali al-Sistani rief am Donnerstag seine schiitischen Glaubensbrüder zum Widerstand auf. Die Schiiten sollten vor allem die Heiligtümer in Nadschaf und Kerbela schützen, liess er verkünden.
Eine Million Menschen auf der Flucht
Die im Syrienkrieg stark gewordene Miliz ISIS hatte zu Beginn der Woche die nördliche Millionenstadt Mossul eingenommen. ISIS-Kämpfer waren am Donnerstag bis auf 60 Kilometer an Bagdad herangerückt. Ziel der Miliz ist ein sunnitischer Gottesstaat zwischen Mittelmeer und Persischem Golf.
In den neu eroberten Gebieten im Irak veröffentlichte ISIS unterdessen Verhaltensregeln auf der Grundlage des islamischen Rechts. Diese beinhalten ein Verbot von Alkohol und Zigaretten. Frauen müssten sich komplett verhüllen.
Gemäss der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind rund eine Million Iraker auf der Flucht. Allein in Mossul waren innert weniger Stunden 500’000 Menschen vor den Extremisten geflohen.
Dort lief inzwischen eine Nothilfe des Welternährungsprogramms WFP für 42’000 Menschen an, wie die UNO-Organisation mitteilte. Die UNO-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay erklärte sich laut ihrem Sprecher besorgt über Massenhinrichtungen.
USA plant keinen Einsatz
Die USA planen keinen Einsatz ihrer Soldaten gegen islamistische Rebellen im Irak. Er werde in den kommenden Tagen jedoch andere Optionen prüfen, sagte US-Präsident Barack Obama am Freitag in Washington.
Jede Aktion der USA müsse begleitet werden von Bemühungen der irakischen Regierung. Die sunnitischen ISIS-Rebellen hätten den Irak zum Teil überrannt, sagte der Präsident weiter. Die Aufständischen bedrohten das irakische Volk und könnten auch zu einer Gefahr für US-Bürger werden.
Die irakische Armee wurde von den USA ausgebildet und mit 25 Milliarden Dollar unterstützt. Sie hat der ISIS bislang aber kaum etwas entgegenzusetzen. Die Streitkräfte sind durch Fahnenflucht geschwächt. Die Sunniten im Irak werfen der Armee wie auch der Regierung vor, vordringlich schiitische Interessen zu verfolgen. Die USA haben ihre Truppen 2011 abgezogen.
China bot der irakischen Regierung «jede erdenkliche Hilfe an», wie eine Sprecherin des Aussenministeriums in Peking. Die staatliche chinesische Öl-Gesellschaft CNPC ist an drei Projekten im Irak beteiligt.