Durchhänger, 3. Juni 2002

Ganz banale Sorgen in diesem Rennes: Die Kreditkarte ist blockiert. Das kann heiter werden.

Zwischendurch ein herrschaftliches, schlösschenartiges Haus hinter einem schweren Eisengitter. (Bild: Urs Buess)

Ganz banale Sorgen in diesem Rennes: Die Kreditkarte ist blockiert. Das kann heiter werden.

Diese graue, kalte, Beton- und Glasstadt Rennes ist mir übel eingefahren gestern Abend. Hab das Frühstück zu mir genommen und nicht nur die Stadt lag mir auf dem Magen, auch mein leeres Portemonnaie. Ist ja absurd. Ich habe mir da eine schöne Summe aufeinem Konto für die Reise zusammengespart, aber vergessen, die Monatslimite für den Bezug per Karte festzulegen. Das heisst. Ich kann nur das Minimum beziehen. Und das ist jetzt aufgebraucht. Von der Limite habe ich bisher nichts gewusst – dann plötzlich: Es kommt einfach kein Geld mehr aus diesen verdammten Automaten.

 

Spazierte also durch dieses Rennes, das mir so ausnehmend gefällt, immer im telefonischen Kontakt mit der Karten-Zentrale in der Schweiz. Ich muss zugeben, dass ich dann doch noch ein paaar Örtchen gefunden habe, die durchaus hübsch sein könnten. Alte, schräge Riegelbauten, aber ein grosser Teil ist vor Jahrhunderten mal abgebrannt und dann hat man Steinpaläste hingestellt so wie man heute Glas, Beton und Platten hinpflastert, dazwischen weite, kahle Plätze – und alles wirkt doch nur weniger unfreundlich, als ich es gestern Abend erlebt habe.

Immerhin: Eine Frau konnte mir einen Laden zeigen, wo ich exzellent mit geographischen Karten bedient wurde, so dass ich jetzt eine Weile locker drauflos marschieren kann. Sass so in der Stadt, auf Bänkchen herum und dachte, dass dieser Tag zu denen gehören wird, die ersatzlos gestrichen werden können. Irgendwann dann das Telefon, ich könne nun wieder ein paar Francs abheben und leicht gehässig sage ich der Dame in Zürich, dass der Euro den Franc ersetzt habe.

Habe also Euros abgehoben, mich nach dem Weg nach Corps-Nuds erkundigt und bin zur Metro gewiesen worden. Metro? Ja, der Abgang vor dem Bahnhof, den ich gestern abend aus dem Hotelzimmer erblickte, führt in eine Metro. Eine Linie: Von Kennedy nach la Poterie. Führerlose Züge geistern durch Rennes Untergrund. Die Endstation La Poterie gespenstig. Die Metro endet auf einem in der Luft schwebenden Hochtrassee, per Lift geht’s auf einen kahlen Parkplatz, wo Busse hin und wieder vorbeikommen. Futuristisch, und wenn das einmal die Zukunft sein soll, bin ich froh, weit vor dieser Zukunft geboren worden zu sein.

Die Ankunft in Corps-Nuds wirkte versöhnlicher. Ein Dörfchen wenig ausserhalb Rennes´. Währschafte Bretonen-Häuser, Kirche und alles drum und dran. Zwischendurch ein herrschaftliches, schlösschenartiges Haus hinter einem schweren Eisengitter. Wollte eben den Rucksack schultern, als ich vis-a-vis die Post sah. Dachte, es sei wieder mal Zeit Ballast abzuwerfen –  und das war ein Schauspiel: Nein, Pakete in die Schweiz könne man nicht schicken. Aha, mit gebrauchten Kleidern, gebrauchter und leerer Thermosflasche, gebrauchten Karten? Ja, vielleicht. Zu zweit diskutierten die beiden Beamten, suchten Formulare, wühlten in postkonformen Schachteln und taten so umständlich, dass ich die ganze Angelegenheit schon sein lassen wollte. Und es klappte dann doch, füllte meterlang Formulare aus und erschrak zutiefst, als ich den Preis hörte: siebenundzwanzig Euro. Hätte ja sonst vielleicht grosszügig gelächelt – aber angesichts überschrittener Limiten war das ein harter Schlag. Nun denn, ich zahlte, schulterte den leichter gewordenen Rucksack und zog los.

Die Franzosen sind definitiv keine Wanderer. Jedenfalls bauen sie keine entsprechenden Wegnetze. Allenfalls, wenn´s gut kommt, hat es irgendwo einen Rundgang. Sonst aber gibt es Strassen, wo die Autos fahren, von ihnen zweigen Nebenstrassen ab, die auf Höfe führen und von denen wiederum Feldwege, die zu Feldern oder in einen Wald führen. Diese hören dann mehr oder weniger unvermittelt auf. Kein Wegnetz, eher so Stiche in die Landschaft. Und da lässt sich schlecht von einem Ort zum andern wandern, ohne die Autorouten zu benutzen.

Und dennoch findet der eifrige Kartenleser, wenn er denn einige Umwege in Kauf zu nehmen gewillt ist, schöne Wege durch diese flache, ganz, ganz leicht gewölbte Bretagne. An stramm wachsendem Getreide vorbei, erste Eidechsen verkünden den nahenden Sommer – und da und dort tauchen hinter welligen Äckern spitze Kirchentürme auf – anders als die trutzig gedrungenen in England. Fröhlich grüssend. Jener von Janzé etwa, der weit hinaus in die Landschaft sticht, mich in das kleine Städtchen von sechstausend Einwohnern lockte, wo ich eines dieser schlichten Hotels fand, in dem ich mich sofort mit allem versöhnte, was ich Ärgerliches erlebt habe. Wurde in ein feines Restaurant gewiesen, wo ich ass – gut, wie schon lange nicht mehr. Nur: Die Kreditkarte hat wieder nicht funktioniert – bin jetzt dann echt pleite. Bisschen ungemütlich.

(Janzé, 3. Juni 2002)

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