Ein Ex-Investmentbanker packt aus

Im Dokumentarfilm «Master of the Universe» (ab 3.12. im Kino) gibt der Ex-Banker Rainer Voss Einblicke in die Machtzentrale des Geldes. Im Interview mit der TagesWoche spricht er über die 1:12-Initiative sowie über Moral und Kriminalität in der Finanzindustrie. Rainer Voss hat als Investmentbanker Milliarden um den Erdball geschoben und Unternehmen an die Börse gebracht. Er […]

Im Dokumentarfilm «Master of the Universe» (ab 3.12. im Kino) gibt der Ex-Banker Rainer Voss Einblicke in die Machtzentrale des Geldes. Im Interview mit der TagesWoche spricht er über die 1:12-Initiative sowie über Moral und Kriminalität in der Finanzindustrie.

Rainer Voss hat als Investmentbanker Milliarden um den Erdball geschoben und Unternehmen an die Börse gebracht. Er wirkte in den Hinterzimmern der Finanzindustrie, bis er ausstieg. Heute berät er Firmen, hält Vorträge. Seine Mission: Menschen zum Nachdenken über den Sinn von Geld anzuregen. Der deutsche Filmemacher Marc Bauder folgt ihm im aufrüttelnden Film «Master of the Universe» in die Gebäude- und Gedankenwelt des Frankfurter Finanzzentrums. Wir trafen den Ex-Banker im Zug durch die Schweiz zum Gespräch über Kapital, Moral, Wirtschaft und Gesellschaft.

Herr Voss, wieviel weiss der durchschnittliche Mitarbeiter einer Bank über die unmoralischen Geschäfte, die gemacht werden?

Nichts. Nichts. Nichts. Das ist ein Teil des Problems. Es findet in den Banken eine «Compartmentierung», wie man das nennt, statt. Da wissen Sie nicht, was links und rechts von Ihnen geschieht. In der Mitte sind Sie, machen effizient Ihren Job. Sie traden zum Beispiel Aktien-ETF mit dem Anfangsbuchstaben H bis O. Sie sitzen in Ihrer Blackbox und machen Ihren optimierten Job. Bald verspüren Sie keine Verantwortung mehr für das, was Sie da tun. Sie geben ja nur weiter, was bei Ihnen ankommt. Das machen Sie völlig korrekt. Aber, Sie wissen nicht, ob der Typ rechts von Ihnen nicht Mist baut. Sie wissen gar nicht mehr, was da im Grossen moralisch abgeht. Es sind nur wenige, die in der Lage sind zu verstehen, was in der Produktionskette abgeht.

Warum läuft so viel schief?

Letztlich, weil der Diskurs fehlt: Ich beneide die Schweizer zum Beispiel um diese 1:12-Initiative. Es geht dabei gar nicht darum, wie die Abstimmung ausgeht. Allein dass dieser Diskurs geführt wird, finde ich grossartig.

Was passiert, wenn 1:12 eingeführt würde?

Dann würden sehr rasch Wege gefunden werden, 1:12 zu umgehen: Vielleicht würden die Spitzenlöhne gekürzt und stattdessen horrende Pensionen ausgesetzt. Die Finanzindustrie findet rasch neue Wege, um leistungsfrei Einkommen zu erzielen. Hier in der Schweiz wird mit 1:12 wenigstens darüber diskutiert, dass da was faul ist.

Die UBS bezahlt in diesem Jahr Bussen in Milliarden-Höhe.

Erst mal will ich da trennen. Was ist illegal, was ist legal? Kriminalität ist der Preis, den die Gesellschaft für die Freiheit zahlt. Deshalb hat sich die Gesellschaft ein System geschaffen mit Legislative, Judikative und Exekutive, um die Balance zu halten. Im Idealfall. Doch wir haben uns von diesem Idealfall entfernt: Wir sind gesamthaft in Richtung der Illegalität unterwegs. Wir sind von der «Gesellschaft des Rechttuns» unterwegs zu einer «Gesellschaft des Rechthabens». Die moralischen Fragestellungen rücken immer mehr in den Hintergrund.

Sie waren lange Jahre in bedeutender Position in der Finanzindustrie. Als Wissender …

… ich würde mich eher als Ahnenden bezeichnen…

Haben Sie eine Ahnung, wie sich die tektonische Verschiebung in der Wirtschaft aufhalten liesse?

David Tucket hat das Buch «Minding the Markets» geschrieben, worin er den Markt mit psychologischen Gesetzen vergleicht. Letztlich führt er uns damit auf die Verantwortung des Individuums zurück. Da können wir beginnen. Warum gibt es zum Beispiel keinen hippokratischen Eid für Banker? Der funktioniert ja in der Medizin ganz gut! Warum gibt es für Banken keine Ethik-Komission? Kirchen, Gewerkschaften, Bürgervertreter, die Wirtschaft  sollten über die Vorgaben ins Gespräch kommen, die die Wirtschaftspolitik gibt. Es findet eine Verformung der Menschen statt, die uns alle treffen kann.

Stellen Sie sich vor, zu Ihnen kommt ein Kind, und sagt: «Du, Papa, wenn ich Mist baue, kriege ich Fernsehverbot, nicht wahr?» «Ja.» «Aber mein Freund Lars gesagt, sein Papa hat auf der Arbeit Mist gebaut, der hat jetzt keine Arbeit mehr.» «Aha.» «Da hat der Timo erzählt, sein Papa hat auf der Arbeit Mist gebaut. Der hat dafür aber 10 Millionen gekriegt!» «Ach.» «Kannst du mir das mal erklären?»

Ja …?

Der eigentliche Skandal ist, dass immer mehr Leute diese Abgangszahlungen mitkriegen und für selbstverständlich ansehen! Die Kinder aber, die nehmen noch ganz frisch an, was da abgeht. Wenn wir noch zwei Generationen so weitermachen, dann wissen unsere Kinder nicht mehr, was oben und was unten ist. Moral vererbt sich auf diesem Weg. Kinder schauen zu, was ihre Eltern machen. Sie denken, was Eltern machen, ist richtig. Dabei verlieren wir unseren Kompass.

Sie haben in leitender Position in der Finanzbranche gearbeitet und aufgehört. Warum eigentlich?

Sehen Sie, ich habe eine Bekannte, die ist ebenfalls aus der Branche ausgestiegen und macht heute Sterbebegleitungen. Die sagt mir, dass Menschen auf die Frage, was sie in einem neuen Leben anders machen würden, als Zweithäufigstes nennen: Weniger arbeiten. Arbeit ist eine Droge. Ich war müde. Ich wollte nicht mehr mitmachen. 

 

Der Film «Master Of The Universe» ist derzeit im Mittagskino im Basler Kult-Kino Atelier zu sehen. Am 3.12. ist offizielle Basler Premiere, der Regisseur wird anwesend sein. 

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