Antisemitismus ist in Deutschland nach Einschätzung von Experten bis in die Mitte der Gesellschaft hinein verbreitet. Bei etwa einem Fünftel der Bevölkerung gebe es einen latenten Antisemitismus, schreiben sie in einem Bericht.
Der Bericht, der am Montag in Berlin vorgestellt wurde, ist zum ersten Mal von dem unabhängigen Gremium im Auftrag des Bundestages erstellt worden. Die Wissenschaftler forderten die Politik auf, entschlossen Gegenmassnahmen zu ergreifen.
„Antisemitismus in unserer Gesellschaft basiert auf weit verbreiteten Vorurteilen, tief verwurzelten Klischees und auf schlichtem Unwissen über Juden und das Judentum“, sagte der Wissenschaftler Peter Longerich.
Die Verbreitung des Gedankengutes – insbesondere über das Internet – sei kaum zu verhindern. Der Antisemitismus sei kein Randphänomen. Er reiche bis weit in die gesellschaftliche Mitte und biete dort Anknüpfungspunkte für rechtsextremistisches Gedankengut.
Die Wissenschaftlerin Juliane Wetzel kritisierte: „Eine umfassende Strategie zur Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland existiert nicht.“ Der Antisemitismus lasse sich aber nur langfristig und mit nachhaltigen Massnahmen angehen.
Viele Projekte zeitlich befristet
Die bisherigen Massnahmen liefen uneinheitlich und unkoordiniert. „Sie gehen von unterschiedlichen Vorstellungen aus, was unter Antisemitismus zu verstehen ist und wie er zu bekämpfen ist.“ Ein grosses Problem sei, dass viele Projekt nur zeitlich befristet staatliche Förderung erhielten.
Nach einem entsprechenden Bundestagsbeschluss im Jahr 2008 zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht hatte die Bundesregierung den Expertenkreis eingesetzt, um verstärkt gegen Antisemitismus vorzugehen. Der Kreis soll regelmässig Berichte vorlegen. Für den ersten Bericht werteten die Wissenschaftler unterschiedliche Untersuchungen aus, die auf Meinungsumfragen basieren.
Bei der Verbreitung antisemitischer Einstellung unter der Bevölkerung nehme Deutschland im europaweiten Vergleich einen Mittelplatz ein, heisst es in dem Bericht. Dies hänge auch damit zusammen, dass es in einigen Ländern wie Polen, Ungarn und Portugal zum Teil extrem hohe Antisemitismus-Werte gebe.