Die Formel 1 ist derzeit ein starres Gebilde. Aus sportlicher Warte wird Mercedes auch in der am Wochenende beginnenden Saison das Sagen haben. Neben den Circuits gibt es nach wie vor viele Probleme.
Ab Freitag wird der Fokus in der Formel 1 wieder aufs Sportliche gerichtet sein. Nicht nur die Fahrer sehnen den Saisonauftakt im Albert Park in Melbourne herbei. Auch für die Verantwortlichen des Internationalen Automobil-Verbandes FIA und für all die Entscheidungs- und Mandatsträger, die kleineren und grösseren Machthaber, kommt der Start in Australien zum richtigen Zeitpunkt.
Restanzen und neue Probleme
Der erste Grand Prix des Jahres lenkt wenigstens vorübergehend von den nicht enden wollenden Wirren abseits der Rennpisten ab, vom steten Kampf um Macht, Einfluss und Geld. Involviert sind irgendwie alle, sei es als Vertreter der Teams, des Verbandes oder des Rechteinhabers. Restanzen wie die gerechtere Aufteilung des den Rennställen zustehenden Anteils an den allgemeinen Einnahmen sind noch nicht abgebaut, schon befeuern neue Ungereimtheiten die ohnehin gereizte Stimmung zusätzlich. Grösster Streitpunkt sind derzeit die angedachten Veränderungen im Reglement im Hinblick auf die Saison 2017. Ursprünglich hatte die FIA den 29. Februar als letztmöglichen Termin für eine Einigung genannt – ein Ansinnen, das sich wie so vieles in der Formel 1 als Trugschluss erwiesen hat. Nun sollen Ende April die Weichen gestellt sein.
Alle wissen um die Notwendigkeit einer Attraktivitäts-Steigerung des Produkts Formel 1. Sinkende Besucherzahlen an den Rennstrecken und eingebrochene Zuschauerquoten für die Fernsehstationen sind alarmierende Indizien. Promoter Bernie Ecclestone schoss mit seinen Äusserungen in einem Interview mit der britischen Zeitung «Daily Mail» («Die Formel 1 ist so schlecht wie nie zuvor») zwar übers Ziel hinaus. Einen Funken Wahrheit beinhalten die Worte gleichwohl.
Alle sind sie deshalb auf der Suche nach Lösungen, um die Königsklasse des Automobilrennsports wieder interessanter zu gestalten. Alle sind sie aber nach wie vor in erster Linie darauf bedacht, im eigenen Interesse zu handeln. Der Egoismus verhindert, in Sachfragen im Sinne des Gemeinwohls zu verfahren. Die Probleme sind hausgemacht. Die verzettelten Machtverhältnisse sind kein idealer Nährboden für Einigkeit; die Machtzentrale fehlt, in der alle Fäden zusammenlaufen. Selbst die grossen Teams wie Mercedes und Ferrari nehmen Einfluss auf Entscheide, und zwar sowohl den sportlichen als auch den kommerziellen Teil betreffend.
Träumerei und ein anderer Planet
Die Zugkraft eines Wettkampfs beruht unter anderem auf einem ausgewogenen Leistungsniveau der Teilnehmer respektive der Chancengleichheit – Voraussetzungen, welche die am Sonntag beginnende Formel-1-WM nicht bieten kann. Vielmehr muss erneut von der Dominanz des Teams von Mercedes ausgegangen werden. Die von verschiedener Seite vorgenommenen Einschätzungen verheissen für die Gegnerschaft nichts Gutes. Von einem «immensen Vorsprung» ist da die Rede. Oder von «Träumerei, dass Ferrari Mercedes regelmässig zu schlagen vermag». Oder davon, dass Mercedes «von einem anderen Planeten» sei und «in der ersten Saisonhälfte alles gewinnen» werde. Aufgrund von Datensimulationen soll die Marge zugunsten der Weltmeister-Equipe der vergangenen zwei Jahre rund eine halbe Sekunde pro Runde betragen.
Exakte Vergleichswerte fehlen noch. Im Gegensatz zur Konkurrenz sind Titelhalter Lewis Hamilton und Nico Rosberg bei den Testfahrten Ende Februar und Anfang März in Montmeló nicht mit den weichsten Reifenmischungen ausgerückt, mit denen die besten Rundenzeiten möglich sind. «Wir sind noch nicht an die Grenzen gegangen», resümierte Hamilton nach den Übungsfahrten in Katalonien. «Möglicherweise sind wir in einer noch stärkeren Position als im Vorjahr.» Erste Erkenntnisse werden die ersten freien Trainings am Freitag in Melbourne liefern.
Ferrari «gut vorbereitet»
Allen düsteren Prognosen zum Trotz glaubt die Crew von Ferrari daran, das technische Defizit auf den Primus minimiert zu haben. Sebastian Vettel verweist auf markante Fortschritte und darauf, «gut vorbereitet zu sein» – auch wenn er hat erkennen müssen, dass «wir noch nicht ganz dort sind, wo wir sein wollen». Eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr, als Vettel in seinem ersten Jahr im Solde der Scuderia drei Grands Prix gewonnen hat, soll es aber auf jeden Fall sein. Wozu er und Kimi Räikkönen mit dem neuen Auto fähig sein werden, dazu wollte und konnte auch der Deutsche selbstredend nichts Konkretes sagen.
Die Hierarchie-Stufen 1 und 2 sind also besetzt. In Bezug auf die Positionen dahinter präsentiert sich die Ausgangslage offener. Zu rechnen ist wiederum mit Williams, das sich im letzten Jahr als dritte Kraft etabliert hat. Die Zielsetzung, Rennen aus eigener Kraft zu gewinnen, scheint allerdings etwas gar hoch gegriffen. Weniger Optimismus verbreitet Red Bull. Vor allem in der ersten Hälfte des saisonalen Pensums sieht sich der einstige Primus auf einer Stufe mit Williams, Force India und Toro Rosso. Im Gegensatz zu den Autos der ersten Equipe der «Roten Bullen» sind jene des zweiten Teams nunmehr mit Antriebssträngen von Ferrari ausgerüstet. Die Aggregate sind wohl letztjährigen Datums, werden in der Schaltzentrale von Red Bull aber trotzdem als leistungsstärker eingestuft als die neuen Modelle, die Renault zur Verfügung stellt – obwohl die Entwicklung in der Motorenabteilung in Viry-Châtillon in Frankreich offenbar (endlich) in die richtige Richtung läuft.
Renault selber, das als Nachfolger des Rennstalls von Lotus nach vier Jahren Unterbruch wieder mit einem eigenständigen Team am Start steht, wird sich nach einer knapp bemessenen Vorbereitungsphase vorerst wohl nach hinten orientieren müssen – in jene Regionen des Klassements, in denen auch die Equipen von Manor und Neuling Haas erwartet werden. Die Übernahme von Lotus war erst Anfang Dezember unter Dach und Fach gebracht worden.