Der Medienkolumnist des «Sonntag» preist die Kraft des gedruckten Wortes. Das ist brandgefährlich. Eine Replik.
«Das Gedruckte hat Kraft», schreibt Medienjournalist Christof Moser im heutigen «Sonntag». Seine Kolumne «Wertpapier» handelt von der Kraft der Zeitung, gegen die ihre digitalen Pendants blass aussehen würden (ich verlinke der Einfachheit halber auf die digitale Version des Artikels).
Mit einem Begriff schon lässt sich der Kolumne viel Luft ablassen. Er heisst: Self-fulfilling prophecy. Natürlich hat Print Kraft, solange ihm Kraft zugeschrieben wird. Entscheidungsträger und Meinungsführer aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, genauso wie viele Journalisten, stammen aus einer Generation, die mit Zeitungen gross geworden ist. Die gelernt haben, dass Zeitungen Öffentlichkeit herstellen und Meinung machen, eben: Kraft haben. Sie messen dem gedruckten Wort weiterhin mehr Bedeutung zu als dem digitalen und verhelfen ihm dabei gleichzeitig zu eben dieser Bedeutung. Mit dem Papier an sich hat das herzlich wenig zu tun.
Relevanz sorgt für Relevanz sorgt für Relevanz
Nehmen wir eines der Beispiele, die Moser in seinem Text anführt um zu belegen, dass Print mehr Kraft habe als Online. Ein Interview mit Philipp Hildebrand, das die NZZ nur online publizierte, habe «null Reaktionen» hervorgerufen. Ein Interview mit Philipp Hildebrand, das der «Sonntag» heute in der Zeitung publiziert, werde einschlagen: «Schauen Sie heute mal auf den einschlägigen Online-Portalen, was los sein wird.»
Verleiht das Papier Hildebrand die nötige Relevanz? Wohl kaum. Es hat sich in der Schweiz eingebürgert, dass Geschichten aus Sonntagszeitungen überproportional oft zitiert werden (ihren wesentlichen Teil trägt die Nachrichtenagentur sda bei, die, sagen wir es mal vorsichtig, nicht zu den digitalen Pionieren dieses Landes gehört). Der «Sonntag» wird eher zitiert, weil Sonntagszeitungen in der Schweiz grundsätzlich die grössere Relevanz zugeschrieben wird als Onlineportalen. Daraus wiederum eine grössere Relevanz abzuleiten, ist ein Zirkelschluss.
Wenn die Huffington Post doch bloss eine Zeitung wäre
Als weiteres Beispiel nennt Moser die (in der Tat oft beeindruckend schlagkräftigen) Titelbilder des Economist. Diese würden «regelmässig zum weltweiten Gesprächsthema», schreibt Moser richtig, und hängt an: «Online?». Diese Frage lässt sich einfach beantworten und zwar nicht so, wie es die Kolumne suggeriert. Die Titelbilder werden unter anderem weltweit zum Gesprächsthema, weil sie sich online so schön verbreiten lassen (Moser nutzt die Möglichkeit selber gerne in seinem Facebook-Account). Mark Johnson, Community Editor beim Economist, sagte am International Journalism Festival Ende April in Perugia, dass die jüngste Titelgeschichte zu Berlusconi eine der bestgelesenen überhaupt war – weil sich das Titelbild viral im Netz verbreitet hatte.
Schaut man ausserdem ein wenig über die Schweizer Grenzen hinaus, so sieht die Lage ohnehin deutlich anders aus. Wie viele mächtige Menschen sich wohl wünschen würden, dass der Guardian, die New York Times oder die Huffington Post «nur» gedruckte Zeitungen wären?
Moser hat in seiner Kolumne zweifelsohne ein wichtiges Thema aufgegriffen: Print wird tatsächlich in vielen Kreisen, insbesondere aber unter Journalisten, noch höher gewichtet als online. Was er entweder nicht sieht oder nicht erwähnt: Diese Nicht-Entwicklung ist brandgefährlich. Denn die nächste Generation, die Journalismus konsumieren und dafür bezahlen soll, wird anderer Meinung sein.