«Pompes Funebres» und «Domyshirt» schliessen, «Naked» und «Schritt für Schritt» ziehen um – und der Umbruch geht weiter in der Innenstadt. Die Gründe sind unterschiedlich, Nachfolger stehen schon in der Warteschlange, heisst es bei «Pro Innerstadt».
Die beiden Teenager werden nie einen Laden eröffnen. Sie sitzen gerade im Domyshirt am Rümelinsplatz, und ihre einzige Reaktion auf die Schilderungen von Lionel Weitnauer ist: «Oje!» Weitnauer hat nichts Gutes zu erzählen als Inhaber eines kleinen Geschäftes. Seit zehn Jahren führt er den T-Shirt-Druck-Shop am Rümelinsplatz, Ende Jahr kehrt er der Innenstadt den Rücken. «Es lohnt sich einfach nicht mehr, einen Laden in der Innenstadt zu mieten», sagt Weitnauer. Wobei «sagen» untertrieben ist.
Er poltert, zürnt, schimpft. «Schau dir doch das mal an: 17 Quadratmeter habe ich hier, bezahle 1690 Franken monatlich – das ist ein Lappen pro Quadratmeter.» Er steht inmitten von T-Shirts in allen Farben, das Bügeleisen für die Aufdrucke steht vor ihm, er hantiert daran, jeder Handgriff sitzt, ohne dass er noch gross aufs Brett schauen müsste und erzählt, warum er nach zehn Jahren sein Geschäft aus der Innestadt verlagert.
«Guck doch raus: Es ist niemand da draussen – die Laufkundschaft fehlt.» Wer in seinen Laden kommt, hat vorher im Internet darüber gelesen, wie die beiden Teenager, die sich T-Shirts für einen Vortrag bedrucken lassen. «Die Innenstadt stirbt langsam. Wer nicht im Internet einkauft, macht es im nahen Ausland.» Das Klagen ist nicht neu, aber heftiger geworden. «Als kleines Unternehmen hat man kaum noch eine Chance: Gebühren, Versicherungen, Steuern – die Ansprüche sind zu gross, die Einnahmen nehmen stetig ab.»
«Nina Dessous» sucht neue Geschäftsführerin
Weitnauers Mietvertrag läuft zwar noch, aber er hat jemanden gefunden, der seinen Laden übernimmt: «Und was ist geschehen? Die Miete ging rauf.» 2050 Franken kosten die 17 Quadratmeter jetzt, der neue Betreiber will einen Imbiss eröffnen. «Überleg dir doch mal, das ist eine Teuerung der Miete von über 20 Prozent.» Die Laufkundschaft hingegen werde immer weniger. Er zeigt auf den Rümelinsplatz, es ist kurz nach dem Mittag, draussen laufen ein paar wenige Leute vorbei.
Nur ein Haus weiter plant Juliette Demond-Standen ihren Abgang, die Geschäftsinhaberin von «Nina Dessous» sucht eine Nachfolgerin. Gerade hat eine weitere Dessous-Kette einen Laden an bester Lage in der Freien Strasse eröffnet, aber Demond-Standen geht nicht wegen der Konkurrenz: «Ich bin spezialisiert auf grosse Grössen, das Geschäft läuft.» Sie will aber aus privaten Gründen nicht mehr weitermachen. Eine Nachfolge zu finden, ist dennoch nicht einfach, wie sie sagt: «Gerade vergangene Woche hat ein Interessent abgesagt.»
Die fetten Jahre in der Basler Innenstadt sind vorbei: Die Mieten steigen, die Kundschaft wird weniger. Bereits ihre Türen für immer geschlossen hat die Ganterie Friedlin an der Stadthausgasse. Nach 148 Jahren war Schluss. Das Geschäft mit den Handschuhen ist vorbei, nicht mehr zeitgemäss. Im Laden erinnern noch ein paar Handschuhe an die guten alten Tage, ein Zettel an der Tür bekundet das Ende.
Nach 148 Jahren war Schluss: Der Handschuhladen Friedlin schloss seine Türen für immer. (Bild: amc)
Die Läden ziehen raus aus der Innenstadt
Von einem Tag auf den anderen hat auch das Kleidergeschäft «Box New Generation» dicht gemacht, nur kurz nach dem Skate- und Snowboardshop «Down Town». Gleich ergeht es nun auch dem Schuhladen «Pompes Funebres» eine Gasse weiter. Wann genau seine Türen für immer geschlossen werden, weiss die Geschäftsführerin noch nicht. Die Führung aus Lausanne hat sich noch nicht entschieden, vielleicht per Ende Dezember, vielleicht erst im Januar. Jetzt kommen erstmal alle Schnäppchenjäger auf ihre Kosten: Es ist Ausverkauf.
Nur noch für Schnäppchenjäger interessant: Der Schuladen «Pompes Funebres». Er schliesst, wann genau weiss die Filialleiterin noch nicht. (Bild: amc)
«Ausverkauf» steht auch am Schaufenster von «First Blue» an der Rüdengasse gegenüber der Hauptpost. Der Jeansladen konzentriert sich auf seine Filiale in der Steinenvorstadt, wie die BaZ berichtete. Zwei Lokale rentieren offensichtlich nicht mehr.
Schliessungen «mehr Zufall als Tendenz»
Wer sich aktuell in der Innenstadt umschaut und umhört, wird das Gefühl nicht los, dass kleine Läden hier nicht mehr überleben können. Die Schliessungen und Wechsel beobachtet der Verein «Pro Innerstadt Basel» aber nicht mit allzu grosser Sorge. Gemäss Geschäftsführer Mathias F. Böhm sei das mehr als Zufall zu sehen denn als Tendenz. «Es ist Ende Jahr, Verträge laufen aus, es ist ein guter Zeitpunkt für einen neuen Schritt – da kommt vieles zusammen.» Die Gründe für die Wechsel und Schliessungen seien zudem unterschiedlich.
Tatsächlich geben die Geschäftsinhaber unterschiedliche, teilweise auch persönliche Gründe an – am Rande sind die Mieten allerdings meistens ein Thema. Allzu offen darüber zu reden, kommt für die Geschäftsführer aber nicht infrage. Nachfolge, Verträge, die Hoffnung auf einen neuen Laden – niemand will es sich mit den Liegenschaftsbesitzern verspielen. Nur wer Anonymität verspricht, erhält Informationen, die einen zum Schluss führen, dass Weitnauer von Domyshirt noch Glück hatte mit seiner Miete. Mit ein paar Quadratmetern mehr kostet ein Laden in der Umgebung auch schon mal das Vierfache.
Die hohen Mieten haben auch den Schuhladen «Schritt für Schritt» zum Zügeln bewegt. Inhaberin Manuela Hirt hat gemeinsam mit Vanessa del Moro, der Inhaberin vom Kleidergeschäft «Naked» (bisher an der Hutgasse), einen neuen Laden an der Henric-Petri-Strasse 26 bezogen.»
«iReparatur.ch» zieht an die Gerbergasse
Nach acht Jahren in der Gerbergasse 82 zwischen Brötlibar und Negishi Sushi Bar ist der Vertrag des «Schritt für Schritt» und der drei anderen eingemieteten Geschäfte ausgelaufen. «Die neue Miete konnten wir uns nicht leisten», sagt Hirt. 30 Prozent mehr als bisher wollte der Vermieter von «Tom Bergstein», der einziehen sollte. Das Kleidergeschäft ging allerdings Konkurs. Stattdessen eröffnet nun das Handygeschäft «iReparatur.ch» im Parterre eine zweite Filiale nach der bestehenden am Klosterberg. Wann sich die Türen öffnen, ist noch unklar, wie es auf Anfrage heisst.
Manuela Hirt trauert der Lage an der Gerbergasse nicht nach. Die Lösung mit «Naked» sei gerade recht gekommen, wobei «gerade» länger war. Knapp ein Jahr haben die beiden Frauen ein neues Ladengeschäft gesucht. «Teilweise waren die Mieten zu hoch für uns, teilweise die Lage nicht gut – und dann gab es auch noch x Bewerbungen. Hier hatten wir Glück.»
Zusammenhalt als Chance
Kollegin Vanessa del Moral hatte sich mit ihrem Laden «Naked» an der Hutgasse wohl gefühlt, das Geschäft lief. Dass sie nun gemeinsame Sache mit Hirt macht, entsprach bei ihr mehr der Wunsch nach «einem Aufbruch zu neuen Ufern». Beide Geschäfte hatten sich eine Stammkundschaft erarbeitet. Von der neuen Lage an der Henric-Petri-Strasse erhoffen sie sich neue Kunden.
Die beiden Frauen haben sich früher bereits weiterempfohlen: Schuhe und Kleider – das passt. Nun können sie gemeinsam Ressourcen sparen. Hirt glaubt, dass das überhaupt ein guter Schritt zum Erfolg der kleinen Geschäfte ist. «Wenn die Geschäfte zusammenhalten und zusammenarbeiten, ist das für alle ein Gewinn.» Wie sie sich das vorstellt, zeigt das Projekt «Die Wahrenlager». Statt auf bisher nicht verkaufter Ware sitzenzubleiben, veranstalten 30 Geschäfte aus verschiedenen Bereichen einen dreitägigen Verkauf im Walzwerk in Münchenstein. Bereits zum dritten Mal findet im Januar (24. bis 26.) der Verkauf im Fahrbar-Depot statt.
«Pro Innerstadt»: Die Innenstadt dehnt sich aus
Trotzdem gibt es auch Geschäfte, die in die Innenstadt ziehen – und trotz gegenteiligem Eindruck nicht nur grosse Ketten. Ins bisherige «Naked» an der Hutgasse zieht «Patchouli» ein. Der Kleiderladen war bisher an der Güterstrasse zuhause. Eröffnet wird der «kleine Schwesterladen» am Samstag, 7. Dezember.
«Pro Innerstadt»-Geschäftsführer Böhm kann der Entwicklung deshalb auch etwas Positives abgewinnen: Einerseits entsteht Platz für Neues und es gibt Abwechslung, andererseits «dehnt sich die Innenstadt durch die Umzüge aus». Statt dass sich der Einkauf auf die Innenstadt fokussiere, gebe es nun auch in der Aeschenvorstadt und anderen Gebieten ein «attraktives Angebot». «Das muss man positiv sehen, die Entwicklung an der Sternengasse beispielsweise ist grossartig.»
Sein Optimismus kommt aber nicht nur davon: Der Verein hatte im laufenden Jahr rund 40 realistische Anfragen für Ladenflächen. Knapp die Hälfte davon seien Einzelmasken gewesen, die Geschäftsideen haben und sich beraten lassen. Ein Viertel seien mittlere Unternehmen auf Suche nach Liegenschaften gewesen und ein weiteres Viertel grosse Unternehmen. «Die Nachfrage nach Ladenfläche in Basel besteht noch immer und zwar in sehr vielfältiger Art und Weise», sagt Böhm.
Schon lange umgezogen: der Juwelier Urech. Die Ladenfläche steht schon seit März 2013 leer. (Bild: amc)
Bemühungen für Vielfalt vs. ausländische Investoren
Die Frage bleibt letztlich, ob die kleinen Läden zum Zuge kommen. «Pro Innerstadt Basel» versprach bereits im Sommer 2012, sich dafür einzusetzen, dass die Innenstadt nicht nur von internationalen Ketten dominiert wird. Sie hat Gespräche angekündigt mit den verbliebenen Basler Eigentümern von Liegenschaften. Werden Ladenflächen frei, will der Verein neue Mieter vorschlagen. «Das direkte Ergebnis lässt sich aber schlecht messen», sagt Böhm. Während Gespräche laufen – steigen die Preise für die Mieten weiter. Immer mehr Liegenschaften gehören Pensionskassen, Versicherungen oder ausländischen Investementgeschäften, da zählt Rendite – nicht die Ladenvielfalt und der kleine Unternehmer.
Dann gibt es noch einen weiteren Grund, warum die Sorgen der Geschäfte in der Innenstadt nicht kleiner werden: Ab 2014 gilt ein neues Verkehrskonzept, für Autofahrer ist da kein Platz. Kunden, die bisher gemütlich mit dem Auto vorfuhren, müssen zu Fussgängern mutieren. Sie werden aber eher einfach weiterfahren – in die grossen Einkaufszentren oder gleich nach Deutschland, so die Befürchtung der Gewerbler.
Wer über die Grenze nach Weil am Rhein ins Marktkauf geht, dürfte die Sorgen verstehen – «die grosse Mehrheit der Kunden spricht dort Schweizerdeutsch», sagt die Geschäftführerin des Basler «Bären-Treff» in der Passage zwischen Gerbergasse und Schmiedenhof. Mit diesem Phänomen kämpfen die Lädeli in Basel schon länger, Sorgen macht der «Bären-Treff»-Chefin nun aber zusätzlich der Umbau des Schmiedenhofs. «Die Laufkundschaft ist schon nicht riesig und mit der Baustelle wird sie sicher nicht grösser», sagt sie. Die Fruchtgummihändlerin und ihr Mann haben noch einen Vertrag bis Ende September 2014. Wie es danach weitergeht und ob überhaupt, weiss sie noch nicht. Nach 13 Jahren befürchtet sie das Ende ihres Geschäfts.
Lionel Weitnauer von «Domyshirt» hat es da besser: Er zügelt zwar seinen Laden, sein Geschäft wird aber ohne fixe Öffnungszeiten an einem anderen Ort weiterexistieren – dank Internet. Das Geschäft wird nicht schlechter laufen, davon ist er überzeugt. Und er hat allen Grund, optimistisch zu sein: In dem er die Innenstadt verlässt, reduziert er seine Fixkosten um 50 Prozent.
Das Online-Shopping ist hingegen weiter am Kommen – ein weiteres Problem, das die Ladenbesitzern immer wieder ansprechen. Ein Problem mehr, neben der Konkurrenz im Ausland, den internationalen Ketten und den steigenden Mieten. Weitnauer macht da nicht mehr mit: «Die ersten sieben Jahr lief das Geschäft toll, jetzt stimmt die Kosten-Nutzen-Rechnung aber in der Innenstadt nicht mehr.» Die beiden Teenager im Laden nicken. Sie nehmen für ihren Vortrag über ein fiktives Geschäft, das sie führen sollen, nicht nur T-Shirts mit. Sondern auch ein paar Erfahrungen.