Eben weilte Keanu Reeves noch vor friedlichen Gemälden der Fondation Beyeler. Jetzt lässt er In «John Wick» Kopfschüsse im Sekundentakt fallen. Wer auf die Uhr schaut, läuft Gefahr, eine Hinrichtung zu verpassen. Schätzungen variieren zwischen 91 und 137. Wer zählt genau?
Jedes Wort, mit dem ich hier von «John Wick» abrate, wäre zuviel Aufmerksamkeit für «John Wick». Dennoch will ich Sie davon abhalten, aus alter Liebe zu Keanu Reeves («My Private Idaho», «Matrix») oder Michael Nyquist («Tillsammans», «Wie im Himmel») in «John Wick» zu geraten.
Es sei denn, Sie verspüren heute einen diffusen Wunsch nach Rache. Wenn Sie sich heute gerne an ihrem Chef rächen möchten – und wer würde das nicht gerne mal hin und wieder – dann kann John eventuell virtuelle Beihilfe leisten, ohne dass sie gleich zur Knarre greifen, zu IS überlaufen müssen oder laut brüllen: Wick dich, John!
Das schmalbrüstige Remake vom Remake von «Oldboy»
Als Kinogänger ist Ihre Neugier auf «John Wick» jetzt vielleicht auch deshalb geweckt worden, weil Sie gerne beim nächsten Gespräch über etwas Verbotenes, zum Beispiel ein Massaker, mitreden wollen. Sie werden dann vielleicht sagen können, dass nicht jeder, der ein Massaker veranstaltet, ein schlechter Mensch sein muss. Sie werden das dann mit «John Wick» belegen können, und alle die «John Wick» dann nicht gesehen haben werden, werden blöd aus der Wäsche gucken, weil sie nämlich gar nicht mitreden können.
Die Produzenten von «John Wick» lassen nämlich einen guten Bösen einen bösen Bösen verfolgen. Dabei killt der gute Böse unterwegs ca. 91 böse Böse. (91 ist eine Schätzung, da ich beim Zählen der Kopfschüsse wohl auch hin und wieder blinzeln musste, also davon ausgehen muss, dass mir ca. 3 Kopfschüsse pro Minute entgangen sind). Die Produzenten beweisen aber auch, dass man mit Filmen wie «John Wick» fast so viel Geld verdienen kann wie die IS-Kämpfer, mit einem ähnlichen Geschäftsmodell: Die Einnahmen von «John Wick» liegen zur Zeit bei 37 Mio (schwache Dollars). Der IS verlangt pro unterlassene Köpfung so um die 20 Millionen.
37 unterschiedliche Tötungsarten
Erst ganz am Schluss, wenn rundum alle bösen Bösen, und auch der andere gute Böse, tot sind, kommt es endlich zum Faustkampf des guten Bösen mit dem bösen Bösen, der damit endet dass das Gute endgültig auf der Strecke bleibt. Warum der gute Böse eigentlich böse wurde, habe ich noch vergessen zu sagen: Der böse Böse hat dem guten Bösen nämlich – gleich zu Beginn des Filmes – das Auto weggenommen. Das ist Grund genug, echt böse zu werden. Auch hat der böse Böse dem guten Bösen den Hund getötet. Da hätten andere ehemaligen Top-Killer auch zur Knarre, zum Stilett, zum Auto, zur Kalaschnikov, zur Tür, zum Fenster, zum Meerbusen oder zur Tischkante gegriffen.
Aber all das, merke ich, schockiert Sie nicht wirklich. Als sie die ersten Videos des Charlie-Hebdo-Massakers sahen, haben Sie auch zugeschaut, wie ein am Boden liegender, verletzer Wachmann mit einem Kopfschuss niedergestreckt wurde. (RAI z.B. zeigte den ganzen Tag das Original, CNN nur die Fotos, SRF nicht einmal das). Wenn Sie da vielleicht weggeschaut haben, weil das ja kein Film war, sondern Wirklichkeit, muss ich Sie da korrigieren: streng genommen stand auch in Paris jemand hinter der Kamera, der das filmte, und anschliessend an TV-Sender verkaufte…
Wenn Sie dennoch hingeschaut haben, ist es Ihnen so ergangen, wie es Ihnen in «John Wick» ergehen wird, nur dass sie bei John wenigstens die Gewissheit haben, dass er ein guter Böser ist und alles nur spielt. Sie werden dann nach zwei Minuten höchstens noch hinschauen, um sicher zu gehen, dass die das wirklich auch immer alles erneut und erneut zeigen. Wie Verletzte erschossen werden. Wie Wehrlose niedergeknallt werden. Wobei das Wort «niedergeknallt» insofern fehl am Platz ist, als viele Opfer schon wehrlos darnieder liegen.
Ein Mordrekord
«John Wick» erinnert vielleicht am ehesten an ein schlechtes Video-Game. Der Film will das auch nicht verbergen. Kurz bevor der böse Böse vom guten Bösen erschossen wird, spielen sie einen Ego-Shooter und einer ruft: Hör endlich mit dem blöden Video-Game auf! Wenn Sie jetzt zu Ihrem Schrank gehen und nach einem alten Ego-Shooter-Game suchen, oder ins Zimmer ihres Sohnes schleichen, um in seinem besten Versteck (es ist noch besser als das Versteck für seine Sticks mit den Badefotos seiner Klassenkolleginnen) nach «Darkness» oder «Doom 3» suchen, dann kommen sie John Wick auf die Spur.
Planen Sie jetzt kein Gespräch über gute Böse und böse Böse im Kreise Ihrer Familie. Klären Sie ihre Kinder darüber auf, wie sie (also letztlich Sie) die 17 Franken Eintritt besser anlegen können. Man kann z.B. in einen Film gehen, in dem man seinen Kopf auch für anderes brauchen kann, als Kopfschüsse zu zählen. Wenn ihre Teenies dann trotzdem zu John wollen, sollen sie halt wenigstens die Tötungen zählen. Wenn Sie das aufmerksam tun, kriegen sie immerhin nicht so viel von der dämlichen Handlung mit.
Ich bin auf die genaue Zahl gespannt. Und gebe mal den ersten Tipp: 141
Der Killer-Workshop läuft zur Zeit in den Pathé-Kinos, in denen aber auch andere Filme laufen, in denen man nicht Erschiessungen zu zählen braucht wie z.B.: «Birdman» oder «Honig im Kopf» oder «Mortdecai» oder «Inherent Vice» …