Ein Schulfilm ohne Schüler

Auch Eltern waren einst selber Schüler. Deshalb wissen sie besser als ihre Kinder, was die als Schüler brauchen: Eine Lehrerin, die aus ihnen Rennpferde macht. Frau Müller kann das nicht: «Frau Müller muss weg!» Seit Jahren ist der Besuch des Grips-Theaters fester Bestandteil von Berliner Schulen. Das «Grips» macht damit seit Jahren Schule. Es vertrat […]

Der Frust sitzt tief bei den Eltern.

Auch Eltern waren einst selber Schüler. Deshalb wissen sie besser als ihre Kinder, was die als Schüler brauchen: Eine Lehrerin, die aus ihnen Rennpferde macht. Frau Müller kann das nicht: «Frau Müller muss weg!»

Seit Jahren ist der Besuch des Grips-Theaters fester Bestandteil von Berliner Schulen. Das «Grips» macht damit seit Jahren Schule. Es vertrat immer die Interessen seiner Zuschauer: Kinder und Jugendliche. Es wagte aber auch immer, was Theater verdächtig macht: Es unterhielt. Es ist ausserdem seit Jahrzehnten bei der Jugend einer Stadt verankert: In Berlin.

Kein Wunder, dass auch die Schule immer wieder Thema von Grips-Inszenierungen war: In «Doof bleibt Doof» zum Beispiel schlossen die Schüler einer Schulklasse gegen den Lehrer zusammen, damit keiner von ihnen «fliegt».

Die Kinder von damals sind längst erwachsen geworden. Der Autor Lutz Hübner holt sie nun wieder in ein Bühnen-Klassenzimmer – als Eltern der nächsten Kinder. Als Eltern sind sie aber nicht mehr so hilflos wie damals als Schüler. Als Eltern können sie sich noch besser wehren: «Wie sonst kann garantiert werden, dass unsere Kinder ins Gymnasium kommen?»

Klassenkampf

Sönke Wortmann hat Hübners Stück «Frau Müller muss weg!» im «Grips» in Berlin inszeniert. Nun präsentiert er es als Film: Unterhaltsam und erschreckend lehrreich. Wortmann («Das Wunder von Bern») hat seine Erfahrung auf dem Theater mit einem hinreissenden Schauspielerensemble auch vor die Kamera gebracht. Er tritt damit den Beweis an, dass eine Komödie zu sozialem Sprengstoff wird, sobald Menschen glaubwürdig dargestellt sind.

Die Mutter Jessica, rasierklingenscharf von Anke Engelke gespielt, verfolgt ihr Ziel mit demagogischem Schneid: Sie hat Unterschriften gesammelt. Sie hat ein Netzwerk errichtet. Sie hat sich zur  Wort-Führerin wählen lassen. Sie benennt das Ziel für ihre Tochter eisenhart: «Ins Gymnasium muss sie, egal wie blöd sie auch ist!»

Klassenkampf

Aber ausgerechnet die scheindemokratische Jessica muss lernen, dass Schule, mitten in der Demokratie, noch lange kein demokratischer Ort ist. Eltern haben in der Schule kein Mitspracherecht. Fürs Leben lernen wir. Aber die Schule entscheidet über unser Leben.

Anke Engelke gibt die Wortführerin der protestierenden Eltern.

Anke Engelke gibt die Wortführerin der protestierenden Eltern.

In der Schule können nicht alle Schüler gleich sein. Zumindest nicht gleich gut! Also kämpfen diese Eltern, wofür alle Eltern kämpfen: Für das Beste für ihre Kinder. Und dafür, dass ihr Kind das Bessere ist.

Die Kinder selber tauchen in diesem Film gar nicht auf. Das macht die Diskussionen im Film so gerissen: Die Kinder sind längst nur noch Projekte, Wunschgeburten ihrer Eltern. Die Kindern dieser Eltern sollen die Träume ihrer Eltern zu erfüllen. Jemand muss das den Kindern doch beibringen können.

Das geht aber nicht nur mit demokratischen Mitteln. Demokratie ist ja in der Schule auch noch nie wirklich zu Hause gewesen. Die Lehrerin stellt das gleich zu Beginn des Filmes klar: «Lehrer werden nicht demokratisch gewählt, sondern vom Amt bestimmt.» Damit ist auch das politische Klima des Elternabends skizziert.

Meinungsbildung hat mit Bildung zu tun – und Meinungen

Die Eltern wollen eine neue Kraft im Ungleichgewicht der Schule darstellen. Sie wollen, dass es für ihre Kinder aufwärts geht. Dem steht ganz offensichtlich nur Frau Müllers Pädagogik im Weg. «Frau Müller muss weg!». Damit eben die Schule wieder ein Ort der Auslese für die Stärkeren sein kann und nicht ein Ort des Trostes für die Schwachen. Dieses Privileg muss auch von privilegierten Eltern täglich neu erkämpft werden.

Bereits fetzen sich die Mütter und Väter, als wären sie selber nur grosse Kinder mit grossen Wünschen: Ob ihre Kinder das Beste, das die Eltern für sie wollen, selber auch wollen, wird gar nie gefragt. Kinder sind keine Subjekte in diesem Film – auch nicht, als es ans Eingemachte geht. Das Eltern-Gemetzel erinnert an «Carnage» von Roman Polanski und Jazmina Reza und wirkt wie dessen braves Vorspiel.

Das Klassenzimmer als Modell der Gesellschaft

So bietet diese Komödie jede Menge schulischen Zündstoff. Und macht das Klassenzimmer zu einem kleinen Gesellschaftsmodell, in dem demokratische Meinungsbildung zu individuell motiviertem Interessens-Kuhhandel wird.

Zum Schluss bleibt die Pädagogin unter all den kindischen Eltern als einzige Erwachsene übrig. Die Eltern stehen zum Schluss wie Schulkinder vor ihr: hochgeschossene Streber, Spickzettelschreiber, Ellbogenübersblattschieber, Besserwisser, Minimalisten, Abschreiber oder ganz einfach nur Petzen – ganz die Kinder einer Schule von einst – einer Schule, die Bildung im Lehrplan stehen hat, aber Auslese zu ihrem Programm macht. Wie die Gesellschaft, für die sie heute unterrichtet.

Es ist noch nicht aller Eltern Abend

Wortmann schafft es, unterhaltsam zu belehren und bissig entlarven. «Frau Müller muss weg!» gehört sofort zum pädagogischen Pflichtprogramm im Lehrplan für Eltern. Für alle Schüler bietet der Film ein Schulbeispiel für das, was ihre Eltern nie werden wollten: So wie ihre Eltern.

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Der Film läuft zurzeit in den Kult-Kinos.

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