In den USA ist Werbung für rezeptpflichtige Medikamente zugelassen. Von der Pharmaindustrie als wertvolle Information für die Patienten gepriesen, steigern die Spots und Inserate den Absatz um 900 Prozent.
Die Frau blickt mitleiderheischend in die Kamera. «Depression ist eine ernsthafte Krankheit, die einem so viel wegnehmen kann.» Die Musik in Moll schwillt kurz an, Grossaufnahme auf ein der Sprecherin gleichendes Spielzeugfigürchen. «Ich fühle mich, wie wenn ich mich aufziehen müsste, nur schon um aus dem Bett zu kommen». Das ist der Anfang eines Werbespots für ein verschreibungspflichtiges Medikament, wie sie allabendlich in den USA zur besten Sendezeit über die Bildschirme flimmern.
Weltweit ist Werbung für rezeptpflichtige Medikamente nur gerade in Neuseeland und den USA zulässig. Der Idee entsprungen, dass die Pharamaindustrie Patienten und Ärzte über Neuentwicklungen informieren könne, wandelte sich die streng regulierte „Konsumenteninformation“ ab Ende der 90er Jahre in den USA im TV zu einer veritablen Marketingschlacht. Die Werbung für Pharmaprodukte belegt mit 4,7 Milliarden Dollar im Jahr 2011 den 10. Platz der Werbekategorien.
Das Figürchen macht zwei mechanische Schritte vorwärts und bleibt, sich langsam vorwärts neigend, stehen, die Sprecherin sagt mit leidender Stimme im Off: «…und als ob ich mich immer wieder aufziehen müsste, um mit der Trauer, dem Desinteresse, den Konzentrationsschwierigkeiten und dem Energiemangel fertig zu werden.» Ihre Stimme wird bestimmt: «Wenn Depression Ihnen soviel wegnimmt, fragen Sie ihren Arzt nach Pristique».
Die wimmernde Musik wechselt auf Dur und wird plötzlich mit einem erhebenden Bass untermalt; eine sonor-autoritäre Männerstimme erklärt die Wirkung des Medikaments, im Bild marschiert das Aufziehfigürchen, jetzt mit fröhlichem Lächeln im blechernen Gesicht, vor der im Hintergrund selig strahlenden Sprecherin energetisch auf die Kamera zu.
Antidepressive boomt
Beworben werden im US-Fernsehen vor allem Antidepressiva, Cholesterin senkende Mittel, solche gegen Sodbrennen, Nasensprays und Allergikermedikamente (Antihistamine). Zu einem Boom der Werbung für diese Produkte kam es, nachdem die Bundesbehörde für Lebensmittel und Medikamente (FDA) ihre Richtlinien für die Spots genauer umschrieben hatte.
Das Muster der TV-Spots ist in der Regel immer das selbe: Nach langatmigen Bildern in düsteren Farben und mit trauriger Musik unterlegten Schilderung der Symptome folgt ein Wechsel auf frohlockende Musik, helle Bilder und viel freudvolle «Action», welche von der folgenden Off-Stimme ablenkt, die in geradezu groteskem Widerspruch zu den Bildern die teilweise furchterregenden Nebenwirkungen schildert. Im eingangs beschriebenen Spot dauert der eigentliche Werbespot 25, der Informations-Pflichtteil 50 Sekunden.
Diese Auflistung ist obligatorisch und wird von der FDA kontrolliert – allerdings ungenügend, wie ein Spezialbericht der Verwaltungsaufsichtsbehörde (GAO) von 2006 bemängelt. Die Medikamentenwerbung ist keineswegs unumstritten. Konsumentenschützer bezeichnen die Formate als hochgradig manipulativ. Ein Bericht der Budgetkommission des Kongresses kam erst im Mai 2011 zum Schluss, dass ein Verbot der Werbung zu weniger Verschreibungen von Medikamenten führen würde und dass die Werbung generell für höhere Ausgaben der Konsumenten, der Versicherer und der Spitalinstitutionen verantwortlich sei.
Absatz um 900 Prozent gesteigert
Denn die Werbung wirkt: Gemäss Statistiken ist die Zahl der Verschreibungen von beworbenen Medikamenten neun Mal höher als bei jenen, die nicht aktiv beworben werden. Der Gesamtumsatz mit Rezeptpflichtigen Medikamenten liegt in den USA bei 291 Milliarden Dollar (2008).