Journalist Jan Krattiger sucht sein Glück ab Ende September in München. Zum Abschied blickt er mit Superzoom auf seine Zeit in Basel.
«Basel ist zäh und irgendwie engmaschig», sagt ein Freund spät abends an einer Party, in einer wohltuend aufmüpfigen Ecke der Stadt. Zäh und engmaschig, um reinzukommen in dieses Gebilde. Aber auch zäh und engmaschig, um sich davon zu lösen, um wegzukommen.
Das ist der Versuch, den ich gerade starte. Und es ist automatisch eine Gelegenheit, um über die Schulter zu schauen auf diese Stadt, die das ganze bisherige Leben lang mal mehr, mal weniger nah war.
Zuallererst Basel: die grosse, weit entfernte Stadt, in der mein Vater arbeitet. Ein paar Mal im Jahr drum die weite Reise. Mit dem Bus direkt vom Dorf in die Stadt in einer Stunde. Dann – zumindest in der Erinnerung – die Häuser, ganz dem Klischee entsprechend hoch, die Strassen voll mit Menschen und Autos und Trams und Fahrrädern. Ungewohnt, wenn der Horizont ansonsten aus der Schule im Dorf und dem riesigen Wald in Steinwurf-Entfernung besteht.
Dann ist Basel die Stadt der Jugend. Der Bars, Clubs, aber vor allem der Konzerte. Eintauchen in eine Szene: Gitarrenbands, jedes Wochenende, mal gut, mal richtig schlecht, mal grossartig. Die Kleinstadt mit dem riesigen Angebot, viel zu gross für die wenigen Leute, die da wohnen, eigentlich. Trotzdem: ein Hauch von Welt, von Weltoffenheit, von Internationalem und Kultur, mit langem «u».
Und dann: Basel als Stadt des Studiums. Älteste Uni der Schweiz, Hort des Humanismus, Erasmus und das volle Programm. Bologna war grad das aktuellere Stichwort. Kleine Institute in uralten Häusern, heimeliges Gebälk und Platznot. Viel zugehört, wenig geredet, nicht viel gelernt, aber im Rückblick vielleicht doch Entscheidendes.
Basel, die Stadt, in der alles läuft wie am Schnürchen. Wo es allen gut geht, wo geschaut wird für die anderen, Lebensqualität wie sonst nirgends. Wo die Leute nett sind und offenherzig und freundlich und gutmütig und intelligent. Und wo die Politiker wissen, was sie tun. Weil sie reden wie die Profs an der Uni.
Basel, die Stadt in der alles läuft wie am Schnürchen.
Und dann der Blick mit der Lupe. Superzoom auf alles, was da passiert in der kleinen grossen Weltstadt. Hier und dort eine Ecke des Teppichs gehoben, die lieber ungehoben geblieben wäre. Denn was darunter zum Vorschein kommt, ist dreckig:
Eine Stadt, die sich darum foutiert, Fahrenden ein kleines Plätzchen zur Verfügung zu stellen, seit Jahren. Und niemanden kümmerts.*
Eine Stadt, die vom Schreibtisch aus Wohnungen für die Ärmsten, die in absolute Not Geratenen, saniert und darum kranke, alte Menschen draussen im dreckigen Duschcontainer sich waschen lässt und jeden Toilettengang zu einer Tortur macht. Nachfrage: Warum? Die Reaktion, noch enttäuschender als das ursprüngliche Problem: Schulterzucken. Geht schon, sind ja nur paar Wochen, sollen sich nicht so anstellen, können ja froh sein.
Eine Stadt auch, die es sich erlauben will, unliebsame, friedfertige junge Leute, die in der Öffentlichkeit ihre Meinung äussern, einzupacken, stundenlang einzusperren und dann: Schulterzucken.
Überhaupt eine Stadt, die natürlich nicht perfekt ist, so wie es keine ist und je sein wird. Aber auch eine Stadt, die sich das nicht eingestehen kann.
Jetzt also München. Drittgrösste Stadt Deutschlands. Teuerste Stadt Deutschlands. Beim ersten Blick eine Mischung aus folkloristischer Tradition, bemühter Ländlichkeit und: ein Hauch von Welt. Wird spannend.
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* seit dem Verfassen dieses Texts hat sich in Sachen Standplatz tatsächlich etwas getan: Irgendwann 2017 soll ein Standplatz bereit sein. Warum das rund zwei Jahre brauchen wird, sei dahingestellt.