Als Reaktion auf die jüngsten Missbrauchsfälle in Behindertenheimen haben Branchenvertreter eine Charta zur Prävention ausgearbeitet. Nach dem Motto „Wir schauen hin!“ sollen Mitarbeiter sensibilisiert werden. Zudem wird darin die Einrichtung von Meldestellen gefordert.
Die Charta beschränke sich nicht auf die Prävention von sexueller Ausbeutung, sagte Ivo Lötscher, Geschäftsführer des Branchenverbandes für Menschen mit Behinderung (INSOS), am Freitag vor den Medien in Bern. Grenzverletzungen müssten generell verhindert werden.
Dass Handlungsbedarf besteht, offenbarte „der Fall H.S.“. Ein 54-jähriger Sozialtherapeut aus dem Kanton Bern hatte im Februar 2011 gestanden, sich in den letzten drei Jahrzehnten an 114 Heimbewohnern und Kindern vergangen zu haben. Die meisten der Opfer waren geistig und körperlich behindert.
Nach Bekanntwerden des Falles habe er sich den Umstand, dass das Treiben jahrelang unentdeckt blieb, mit der hohen kriminellen Energie des Täters erklärt, sagte Ueli Affolter, Leiter des Berner Heimverbandes. Heute wisse er es besser: „Wir haben nicht hingeschaut.“
Einrichtung von Meldestellen
Zusammen mit elf weiteren Institutionen und Organisationen hat sich der Berner Heimverband deshalb an die Ausarbeitung der Charta gemacht. Vertreten waren in der Arbeitsgruppe unter anderem die Menschen mit Unterstützungsbedarf (Procap), deren Eltern (insieme) sowie die Sozialarbeiter (AvenirSocial).
Die Charta verlangt die Förderung der Selbstkompetenzen der Betreuten. Diese sollen ihren Möglichkeiten entsprechend lernen, Grenzverletzungen signalisieren zu können.
Als Schwachstelle erwies sich im Berner Missbrauchsfall die Personalrekrutierung. Gemäss Affolter mussten im Kanton Bern bei Bewerbungen bislang keine Strafregisterauszüge vorgelegt werden – dies fordert nun einer der zehn Punkte der Charta.