Der TagesWoche-Filmkritiker Hansjörg Betschart macht Urlaub im Süden und erlebt dabei eine «Amour fou». Ein Reisebericht wie eine Szene aus dem französchen Kino.
Ich hatte heute zum ersten Mal im Leben Telefonsex. Ein anderes Wort scheint mir nicht zutreffend. Ich gerate ansonsten nie in derartige Lebenslagen (in die ein alleinreisender Tourist im fremdsprachigen Ausland gerne mal kommen kann). Heute aber habe ich es getan: Ich habe die Dienste einer wildfremden Frau in Anspruch genommen. Meine Not machte es erforderlich.
Vor der Abreise hatte ich mich noch an das Wort meiner Mutter erinnert, die uns immer – vor Reisen ins Ausland – vor Dieben warnte: «Das Geld bewahr in einem Brustbeutel auf». «Steck den Notbatzen in den Geldgürtel!» «Vor allem: Gib dich nicht als Schweizer zu erkennen!»
Kann man damit auch Muscheln öffnen?
Ich habe mich also mit Sandalen (sieht deutsch aus), Shorts (sehen holländisch aus), einem Cap (sieht russisch aus) und meiner American Optical Pilotenbrille (sieht britisch aus, aber besser als Ray-Ban) getarnt auf den Flughafen begeben. Bereits im Flugzeug habe ich Bekanntschaft mit Cap-Trägern (Italiener!) geschlossen, habe eine Ray-Ban-Trägerin (Münchnerin!) kennen gelernt, die nicht wusste, was eine American-Optical-Pilotenbrille ist, und wurde von einem schwedischen Turnschuh-Träger aufgeklärt, wie er Fussschweiss vermeidet: Mit Sandalen.
Meine Tarnung als Unschweizer funktionierte also vorzüglich. Selbst mein Zweit-Handy, es verfügt noch nicht einmal über einen Touch-Screen, wurde von den einheimischen Jungs schon vor dem Hotel mitleidig belächelt. «Kann man damit Muscheln öffnen?» Das war die beste Tarnung gegen Diebe. Selbst die Swisscom kam nicht an meinen Geldbeutel ran. Ich hielt sie mir mit einer lokalen Prepaid-Karte vom Leib.
«Six. Neuf. Oui !»
Was aber in so einer Prepaid-Karte steckt, stellte sich erst heraus, als ich, nach drei erfolglosen Mails, einem dreimaligen unterbrochenen Gespräch meiner Nachbarin in der Heimat erklären musste, wo ich den Ersatzschlüssel hinterlegt hatte. Zu lang: Ich musste mein Guthaben aufladen. Nachdem ich in der grössten Mittagshitze per Mail endlich alle persönlichen Daten angegeben hatte, die die NSA ohnehin bereits über mich weiss, erhielt ich schliesslich einen Rückruf, von meiner französischen Bank.
Da war sie dann. Die unbekannte Automaten-Frau. Mit den oralen Zahlen. Sie klang nicht, wie eine jener Sunrise-Stimmen, die jede Zahl zu einer Pfeffersprayattacke machen. Sie klang wie … wie … französisch eben. Es mag an der Hitze der Mittagssonne gelegen haben. Aber diese Stimme würde bei diesen Temperaturen jeden, nicht so hartgesottenen Unschweizer ins Schwitzen bringen. «Six. Neuf. Oui ! Oui (Oder Huit ?) ! Pressez l’étoile où raccrochez». Das habe ich getan. J’ai pressez les étoiles plusieurs fois. Das Reload hat funktioniert. Und die NSA kennt jetzt auch das Versteck von meinem Ersatzschlüssel.