Eine Höhle, in der man das Proto-Kino erleben kann

Filmemacher Werner Herzog entführt uns in eine «Cave of Forgotten Dreams» – in 3D.

Stolz posiert Werner Herzog (rechts) vor den erstaunlich dynamischen Malereien in der Chauvet-Höhle. (Bild: zVg/Ascot Elite)

Filmemacher Werner Herzog entführt uns in eine «Cave of Forgotten Dreams» – in 3D.

Die Terra incognita hat Werner Herzog schon immer gereizt. Wagnisse pflastern den beruflichen Weg des 69-jährigen Regisseurs. Denken wir nur an seine Spielfilme, für die er den unberechenbaren Klaus Kinski verpflichtete («Nosferatu»! «Fitzcarraldo»!). Oder an seine Dokumentarfilme, in denen er staunend Neuland erforschte. Zum Beispiel «Grizzly Man» (2005), worin er Leben und Tod des Tierschützers Timothy Treadwell aufarbeitete.

Jetzt wickelt uns der sonore Bariton des Bajuvaren wieder um den Finger: «Cave of Forgotten Dreams» heisst sein neuer Film – und ist selbst eine Entdeckung wert: Herzog lädt uns ein, in die Vergangenheit einzutauchen und das Leben unsererer Urururururururahnen zu, nun ja, zu erahnen.

Grünes Licht von Mitterand

Sein Ziel ist die französische Chauvet-Höhle, die 1994 entdeckt wurde. Forscher stiessen darin auf einen Schatz: Höhlenmalereien, darunter die ältesten der Welt, entstanden vor über 30 000 Jahren. Eine Sensation. Herzog, von klein auf von Höhlenmalereien begeistert (und von den fantastischen Kopfreisen, zu denen diese einluden), war Feuer und Flamme, darüber einen Film zu drehen. Dass zur Hochsicherheitshöhle nur wenige Wissenschaftler Zutritt erhalten, kitzelte ihn nur noch mehr. Es war sein Glück, dass der französische Kulturminister Frédéric Mitterrand Fan seines Schaffens ist und sich persönlich dafür einsetzte, dass er die einmalige Gelegenheit für eine Dreherlaubnis erhielt.

Schwierige Bedingungen

Die Bedingungen für die Aufnahmen waren schwierig: Sechs Tage à vier Stunden wurden dem Filmteam zugestanden. Nur mit Amateur-Handkamera und minimaler Beleuchtung durften Herzog und drei Mitarbeiter das Innere filmen, stets unter Aufsicht, auf dass sie keinen Schritt vom vorgegebenen Pfad abweichen würden. Zu kostbar und fragil sind die Funde. Zu gut erhalten auch, wie die Zuschauer erfahren, denn durch einen Felssturz wurde die Höhle vor über 20’ooo Jahren versiegelt «und seither wie eine Zeitkapsel bewahrt», wie Werner Herzog erklärt. «Alles war ganz frisch, als wäre es gestern hinterlassen worden.»

Bewegte Höhlenbilder

Da sind zum Beispiel die ältesten Fussspuren eines Menschen. Herzog folgt einem Jugendlichen, der in dieser Höhle über dem französischen Ardèche-Fluss vor 26 o00 Jahren Schutz fand. Weil die Maler die Wölbungen und Nischen in ihrer Malerei berücksichtigten, drängte sich für Herzog eine räumlichere Wahrnehmung auf, weshalb er erstmals in 3D filmte.

Wacklig gleitet die Kamera bemalten Wänden entlang, sodass es dem Zuschauer zunächst den Kopf verdreht. Doch der Schwindel weicht bald einer Begeisterung für die plastische Erfahrung. So sehen wir etwa ein Bild eines Bisons mit acht Beinen und staunen ebenso wie Herzog: Schon vor Jahrtausenden fanden unsere Vorfahren heraus, mit welchen Kniffen sie ihrer Kunst Beine machen konnten. Ein Wollnashorn wurde achtmal nacheinander auf einen Felsen gemalt, um so seine Bewegung festzuhalten.

Mehr als nur Effekthascherei

Herzog findet darin eine Art Proto-­Kino vor: «Man spürt irgendwie, dass dies der Ursprung der modernen menschlichen Seele ist – der Ursprung der Kunst», erzählt er in charmantem Deutsch-Amerikanisch und erweist sich als herausragender Tour-Guide: Herzog rätselt nicht nur philosophisch über die Lebensweisen unserer Vorfahren während der Eiszeit, er vermittelt zudem unterhaltsam und lehrreich ­seine Faszination für diese Kunst- und Lebensform und lässt auch Wissenschaftler zu Wort kommen.

Nach Wim Wenders, der mit «Pina» den bisher eindrücklichsten dreidimensionalen Tanzfilm schuf, beweist damit ein weiterer grosser Name des deutschen Autorenkinos, dass 3D mehr als nur Effekthascherei sein kann. 

«Cave of Forgotten Dreams» läuft in den Basler Kinos Plaza und Küchlin.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13/01/12

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