Die TagesWoche hat zusammen mit der NZZ und der Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» die Kartenapplikation «Stadtgeflüster» entwickelt. Einfach war es nicht. Aber einzeln vorzugehen, hätte kaum zu Erfolg geführt. Ein Werkstattbericht.
Die TagesWoche hat zusammen mit der NZZ und der Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» die Kartenapplikation «Stadtgeflüster» entwickelt. Einfach war es nicht. Aber einzeln vorzugehen, hätte kaum zu Erfolg geführt. Ein Werkstattbericht.
Rund 300’000 Kartenaufrufe, mehr als 1700 eingetragene Punkte in über 50 Städten – das ist die Zwischenbilanz des medienübergreifenden Projekts #Stadtgeflüster (auf Französisch «détours urbains»). Die TagesWoche, die Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» und die NZZ haben gemeinsam eine interaktive Karte entwickelt, auf die Leserschaft Wissenswertes und wenig Bekanntes über verschiedene Orte in der Schweiz vermerken kann.
Dieser Werkstattbericht soll Einblick geben in die Entstehungsgeschichte von #Stadtgeflüster – von der Inspiration aus New York, über einen zweitägigen Kraftakt bis zur immer länger werdenden Zielgerade.
Die Idee
Die TagesWoche hat in der Vergangenheit schon einige Male zusammen mit Ihren Leserinnen und Lesern Informationen auf einer Karte zusammengetragen, Velofallen in Basel etwa oder die schönsten Cafés der Stadt. Diese liessen sich mit Google Maps zwar realisieren, dennoch stand das Bedürfnis nach einer eigenen Applikation mit der damit verbundenen Flexibilität im Raum. Die «Bike Wisdom»-Karte der «New York Times», auf der New Yorker die Velotauglichkeit ihrer Stadt kartieren konnten, hat schliesslich den Ausschlag gegeben, das Projekt in Angriff zu nehmen. Im Alleingang wäre das wenig sinnvoll gewesen, nicht zuletzt da wir nicht das einzige Medium sind, das ein solches Werkzeug benötigt. Innert weniger als 24 Stunden haben Sylke Grunwald, Datenjournalistin bei der NZZ und Mehdi Atmani, Datenjournalist bei «Le Temps» zugesagt, bei der Entwicklung einer solchen Kartenapplikation zu kooperieren.
(Bild: New York Times)
Die Ziele
Mit der Zusammenarbeit haben wir zwei Ziele gleichzeitig verfolgt. Zum einen sollte eine Applikation entstehen, die auch nach «Stadtgeflüster» von den drei Medienhäusern unabhängig eingesetzt und angepasst werden kann. Andererseits wollten wir mit einem gemeinsamen Projekt die Anwendung der Applikation unter Beweis stellen und dabei die Reichweite und Verbreitungsgebiete der drei Medien um Basel, Zürich und Genf ausnutzen für ein schweizweites Crowdsourcing. Beide Ziele haben wir erreicht.
Die Grundpfeiler
Zu Beginn des Projekts haben wir uns auf einige Eckwerte geeinigt. Die Applikation sollte grösstmöglicher Offenheit verpflichtet sein, sowohl gegenüber den Nutzern (kein Registrierungszwang und keine vorgängige Moderation), gegenüber anderen Medien (die Applikation soll in jede Website eingebettet werden können) und gegenüber der Entwickler-Community (der Code der Applikation soll in den nächste Monaten geöffnet werden).
Der Plan
Unser Plan bestand darin, eine funktionsfähige Applikation gemeinsam mit dem Designstudio Interactive Things und Entwicklern der NZZ in einem zweitägigen Hackathon komplett zu entwickeln, danach zwei Wochen zu testen und letzte Optimierungen vorzunehmen und dann das Projekt lancieren. Aus zwei Wochen wurden schliesslich zweieinhalb Monate, aber dazu später mehr.
Das Team
- Idee: David Bauer (TagesWoche)
- Projektmanagement: David Bauer (TagesWoche), Mehdi Atmani («Le Temps»), Sylke Gruhnwald (NZZ)
- Backend: NZZ-Web-Systeme
- Design: Andres Kaminski
- Umsetzung: Interactive Things
- Beratung: Thomas Preusse, Oleg Lavrowsky
Die Umsetzung
Dank der «Bike Wisdom»-Karte der New York Times hat wir einen konkreten Ansatzpunkt gleich zu Beginn des Hackathons. Wichtig war uns, nicht bloss ein bestehendes und erfolgreich implementiertes Modell zu kopieren, sondern die Kartenapplikation nach unseren Vorstellungen zu entwickeln. Das Ergebnis ist «Stadtgeflüster»: Dieses Projekt lädt die Leserschaft ein, Ihr Wissen über Schweizer Städte und Orte zu teilen. Positives, negatives und Fakten sollten farblich gekennzeichnet auf der Karte verortet werden können. Die Information ist dann gleich teilbar auf den sozialen Netzwerken.
Für die ersten Entwürfen orientierten wir uns an der «Bike Wisdom»-Karte.
(Bild: Andres Kaminski)
(Bild: Andres Kaminski)
Die wesentlichen Änderungen haben sich in der zweiten Iteration herauskristallisiert. Wir haben uns entschieden, die Kommentare zu einzelnen Orten nicht direkt auf der Karte anzuzeigen, sondern diese in einer Seitenspalte zu platzieren. Das hat den zwar den Nachteil, dass ein Blick auf die Karte nicht gleich schon Informationen vermittelt, dafür zwei wesentliche Vorteile:
- Die Informationen können nicht nur geografisch über die Karte erkundet werden, sondern auch in Form einer Liste.
- Die Anzeige der Kommentare als Liste erlaubt mehr Text.
Das finale Design:
(Bild: Andres Kaminski)
Die Technologie
Als «Sammelbecken» der Informationen haben wir uns für eine MySQL-Datenbank entschieden. Für die Karte wollten wir eine Alternative zu Google Maps. Da die NZZ bereits regelmässig mit Open Street Map und Mapbox arbeitet, haben wir uns für «Stadtgeflüster» auch wieder dafür entschieden. Wir freuen uns, dass wir es mit «Stadtgeflüster» in die Projekteübersicht von Open Street Map geschafft haben.
Um das Lesen und Erstellen von Einträgen so einfach und schnell wie möglich zu machen, haben wir uns für ein sehr schlankes Interface entschieden. Alle Interaktionen können asynchron ausgeführt werden, ohne dass die Seite nachladen muss. Die single-page Applikation basiert auf dem Javascript Framework Backbone.js mit Hilfe von Handlebars.js und Underscore.js. Das Design wurde mithilfe der beiden CSS Frameworks Bootstrap und Compass umgesetzt, welche uns einen enormen Vorteil in Geschwindigkeit und Stabilität gewährt haben.
Die Reaktionen
Die Karte wurde in einer Beta-Version lanciert. Trotz Bugs konnte sich die Leserschaft von Beginn an für die Applikation begeistern. Bereits nach 24 Stunden waren über 300 Punkte markiert, in über 20 verschiedenen Städten und Orten der Schweiz. Schnell kamen auch ohne unser Zutun Orte aus den Nachbarländern hinzu – und sogar ein Friedhof auf der Insel La Réunion im Indischen Ozean wurde markiert. «Le Temps» wurde zudem durch «Stadtgeflüster» auf einen Experten für Art Déco in Vevey aufmerksam und konnte mit ihm eine separate Geschichte (PDF) umsetzen.
Bereits am ersten Tag hat das «Journal B» aus Bern von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Karte einzubetten, und hat für Bern Einträge gesammelt. Am Donnerstag stiess «Der Standard» aus Wien dazu, was Einträge in ganz Österreich angekurbelt hat. Auch die «Wiener Zeitung» und die «Süddeutsche Zeitung» haben Interesse gezeigt.
Unser Vertrauen in eine konstruktive Beteiligung hat sich bewährt, nur ein sehr kleiner Teil der Kommentare musste gelöscht werden. Lediglich nach Aufschaltung der Karte bei den österreichischen Kollegen sahen wir uns gezwungen, kurzzeitig stärker einzugreifen und Einträge, die nicht der Netiquette entsprechen, zu löschen.
Es geht weiter
Mit dieser Zwischenbilanz ist das Projekt natürlich nicht zu Ende. Helfen Sie weiter mit, verborgenen Seiten von Basel und anderen Städten zu beleuchten und teilen Sie Ihr Wissen. Sie können es gleich hier tun oder zur Karte im Grossformat inklusive einer Anleitung zum Mitmachen wechseln.