Ravi Shankar ist im Alter von 92 Jahren in Kalifornien gestorben. Indiens Premierminister bezeichnet ihn in seinem Nachruf als «nationalen Schatz und weltweiten Botschafter des indischen Kulturerbes.» Wie einflussreich Shankars Sitarspiel war, zeigt unsere Liste, die nebst den Beatles und den Stones auch Stücke von John Coltrane oder Metallica enthält.
Ravi Shankar war Inder, aber vielleicht ist es kein Zufall, dass sein Vorname im Französischen für «entzückt» steht. Denn hingerissen waren sie alle, damals in den 1960er-Jahren, als sie seine Aufnahmen hörten: Der Jazzer John Coltrane, die Beatles, die Rolling Stones, die Doors. Zahlreichen Trips lieferte Shankar – unfreiwillig – einen Soundtrack mit seinen meditativen Stücken. Der indische Meistermusiker hat sein Talent nicht nur auf seine beiden Töchter Anoushka Shankar und Norah Jones übertragen, wie unsere Liste im Andenken an ihn aufzeigt.
1. Ravi Shankar und sein berühmtester Schüler (1967)
Wer ist eigentlich der Mann an der Seite des Beatles-Gitarristen? Die Frage machte Mitte der 60er-Jahre die Runde und aufgrund der Beatlemania wusste bald jedes Kind, wer dieser indische Musiker war und wie man sein seltsames Instrument bezeichnete: Ravi Shankar an der Sitar. George Harrisons Interesse an der indischen Kultur und Spiritualität war erwacht, nachdem er sein Klangspektrum zu erweitern suchte. 1964 kaufte er sich erstmals eine 12-saitige Gitarre. 1965 machte ihn David Crosby von den Byrds mit der Musik von Ravi Shankar vertraut. Noch mehr Saiten! Noch mehr Obertöne! Harrison war hin und weg, erwarb eine Sitar und verwendete das indische Saiteninstrument im gleichen Jahr erstmals für Aufnahmen mit den Beatles: «Norwegian Wood» hiess das Lied mit Harrisons (noch) relativ rudimentärem Sitarbeitrag. Kurz darauf lernte er in London Ravi Shankar kennen und schätzen – und nahm beim Meister Unterricht, wie dieses Video dokumentiert.
2. The Beatles: «Love You Too» (1966)
Harrison machte rasch Fortschritte auf der Sitar. Und revanchierte sich bei seinem Mentor für die Unterstützung, indem er ihm Kraft seiner Popularität zahlreiche Türen zu TV-Shows und Konzertbühnen öffnete. So trat Shankar sowohl beim legendären Woodstock-Festival auf als auch bei Harrisons «Concert for Bangladesh». Die beiden blieben Zeit Harrisons Lebens freundschaftlich verbunden. Stellvertretend für zahlreiche Lieder von Harrison, in denen seine Begeisterung für indische Musik durchdrang, präsentieren wir hier «Love You Too», das 1966 auf dem Album «Revolver» veröffentlicht wurde. Weitere Beispiele wären der Psychedelic-Rock-Klassiker «Tomorrow Never Knows» oder «Within You Without You» sowie – natürlich – sein Solohit «My Sweet Lord». Shankar sagte einmal in einem Interview: «Ich hätte nie gedacht, dass unser Treffen eine solch explosive Wirkung erzeugen und indische Musik plötzlich in der Popszene auftauchen würde.»
3. The Rolling Stones: «Paint it Black» (1966)
Die Beatles und die Stones waren nicht nur Konkurrenten, sondern auch Freunde: Sie verbrachten gemeinsame Zeit auf Partys, besuchten sich auch gegenseitig im Studio. Und schauten sich immer wieder auf die Finger. Innovative Kraft bei den Stones war Brian Jones. Er erweiterte den Rocksound der Stones um Flöten-, Cembalo- oder gar Marimbaklänge. Kurz nach Harrison erwarb auch Jones eine Sitar und lieferte 1966 ein psychedelisches Riff zum treibenden «Paint it Black».
4. John Coltrane: «India» (1961)
Schon Jahre bevor die Beatles und die Stones Ravi Shankar für sich entdeckten, machten seine Platten in Jazzer-Kreisen die Runde. Saxofonist John Coltrane etwa kamen die ungewöhnlichen Klänge 1961 zu Ohren. Er war so angetan davon, dass er im selben Jahr den dröhnenden Klang der Tambura in seine Live-Konzerte einbaute – und zudem auf seinem Album «Africa/Brass» auch ein Stück veröffentlichte, welches auf indischen Gesängen basierte: «India». Coltrane sagte damals einem Journalisten: «Ich sammle die Platten von Shankar, seine Musik berührt mich.» Und fügte hinzu, dass er sich eine Kollaboration, ein gemeinsames Album, sehr gut vorstellen könnte. Dazu kam es nie, Coltrane starb 1967, ehe er diesen Wunsch Realität werden liess. Die beiden lernten sich aber kennen und schätzen, Coltrane genoss bei einigen Treffen gar Musikunterricht. Wie sehr er den indischen Meister bewunderte, zeigt sich beim Blick ins Familienbüchlein: Coltrane taufte seinen Sohn Ravi. Kann man einem Menschen ein grösseres Kompliment machen?
5. Steely Dan: «Do It Again» (1972)
Flower Power war in den 70er-Jahren vorbei, das Interesse am psychedelischen Klang der indischen Musik hingegen noch lange nicht verwelkt. So liess 1972 die exquisite Jazzrock-Formation Steely Dan mit ihrem Debütalbum aufhorchen, worauf Walter Becker «nur» Bass spielte und die Gitarre ganz Denny Dias überliess. Aus gutem Grund: Dias spielte ein elektrisches Sitarsolo. Seine Freude an Elektronik und Effekten hat Dias, der auch an der Seite von Wayne Shorter auftrat, übrigens später zu einem neuen Beruf geführt: Er wurde Computerprogrammierer.
6. Kula Shaker: «Govinda» (1996)
Als Europa auf der Britpopwelle ritt, da wurden auch sie ganz nach oben gespült: Kula Shaker. Eine Hippie-Clique, die in die Fussstapfen von George Harrison trat, indische Klänge mit Rockmusik kreuzten und den Geist der psychedelischen 60er-Jahre aufleben liess. Was ihnen ganz formidabel gelang, bescherten uns Kula Shaker doch einige hervorragende Songs: «Tattva» etwa. Oder «Govinda». Das Interesse an Tabla- und Sitarklängen war übrigens nicht auf die Beatles zurückzuführen. Sondern auf eine Reise des Sängers Crispian Mills, der sich 1993 – im Alter von 20 Jahren – aufmachte, um wie Hunderttausende westliche Sinnsuchende vor ihm nach Indien zu reisen und in einem Ashram zu leben. Die Tempelgesänge beeindruckten ihn und führten dazu, dass er Sanskritworte in seine Texte einfliessen liess.
Kula Shaker traten oft mit indischen Gastmusikern auf und lebten ihr Flavour für den Hippie-Lifestyle aus: So erinnere ich mich, dass sie am Open Air St. Gallen hinter den Kulissen für Verblüffung sorgten, als sie mit einem beachtlichen Tour-Tross aufkreuzten (inklusive Hare-Krishnas), ein riesiges Tipi aufstellen liessen und den Backstagebereich mit Patchouli- und anderen Düften einnebelten.
7. Metallica: «Wherever I May Roam» (1992)
Auch Musiker der härteren Gangart haben ein offenes Ohr für den exotischen Klang der Sitar. Bestes Beispiel: Metallica, die auf ihrem erfolgreichsten Album (das selbstbetitelte, schwarze Ding aus dem Jahr 1992) nebst den bekannteren Songs «Nothing Else Matters» und «Enter Sandman» auch eine Single auskoppelten, die mit psychedelischen Sitarklängen eingezupft wurde: «Wherever I May Roam».