Elles

Die Französinnen hatten die Nase schon in der Literatur vorn, wenn es um die Grenzziehung zwischen Sexualität und Pornografie ging. Anaïs Nin spielte (in «Delta der Venus») und Margarete Duras noch souverän mit ihrer Erotik, ebenso Margarete Duras. Kürzlich preschte die Deutsch-Britin Charlotte Roche mit «Schossgebete»  – die Voyeure auf ihre Seite – über die Grenze. Die Französinnen hatten die […]

Die Französinnen hatten die Nase schon in der Literatur vorn, wenn es um die Grenzziehung zwischen Sexualität und Pornografie ging. Anaïs Nin spielte (in «Delta der Venus») und Margarete Duras noch souverän mit ihrer Erotik, ebenso Margarete Duras. Kürzlich preschte die Deutsch-Britin Charlotte Roche mit «Schossgebete»  – die Voyeure auf ihre Seite – über die Grenze.

Die Französinnen hatten die Nase schon in der Literatur vorn, wenn es um die Grenzziehung zwischen Sexualität und Pornografie ging. Anaïs Nin spielte (in «Delta der Venus») und Margarete Duras noch souverän mit ihrer Erotik, ebenso Margarete Duras. Kürzlich preschte die Deutsch-Britin Charlotte Roche mit «Schossgebete»  – die Voyeure auf ihre Seite – über die Grenze. Kann ein Film da mithalten? In der Männer-Welt, in der alles käuflich gemacht wird, dürfen wohl auch Frauen über Sex denken, als wäre er bloss eine Ware. Nur, dass sie dann meist selbst die Ware sind. Was also tun sie, wenn sie es tun? Verbirgt sich hinter dem Paywall der wahre Sexus? Dieser Frage will Ann, die Hochglanz-Journalistin nachgehen. 

Anne schreibt für eine jener Zeitschriften, in der die Artikel zwischen seitenweiser – (nicht weiser) Werbung kaum auffallen. Sie schreibt für die Frau von Welt. Über Sex. Modischen Sex. Sexy Mode. Modesex. Sexmoden. Sie schreibt für Leserinnen, die ihren Sexualhaushalt im Schuss halten wollen. 

Gut organisiert, zwischen routiniertem Kochen für das Chefessen das Gatten, Telefonieren über das Schwänzen (nicht das Schwänzchen) des Sohnes, und dem (Massaker)-Spiele-Verbieten  für den Kleinsten, führt Ann Interviews mit Prostituierten, Studentinnen, die ihre Stellung mit Stellungen aufbessern. Anne trifft die gut organisierten Frauen im Park, im Hotelzimmer, zu Hause. Sie bezahlt, wie ein Freier, gut: für mündliche Tatsachen, für orale Sexerlebnisse, ohne Gummi. Dann fährt sie nach Hause und poliert die Texte auf Hochglanz. 

Doch je länger Anne die Interviews macht,  desto verstörender wirken die Aussagen der horizontalen Frauen auf die zweifache Mutter. Je mehr Antworten sie zum bezahlten Sex kennt, desto mehr Fragen stellen sich ihr zu ihrem eigenen, kostenlosen Sexualleben. Ihre Wohlstandswelt kriegt plötzlich Brüche. 

Es sind dies gleichzeitig die spannendsten Szenen im Film: Wenn die Ehefrau den jungen Prostituierten gegenübersitzt. Wenn sie zuhört. Wenn sie mit dem Anfang der Lügen anderer konfrontiert wird, und plötzlich am Ende ihrer eigenen Lügen steht. In Juliette Binoches Gesicht werden so Lügen zu ungeschminkten Wahrheiten. Die Journalistin versteht die vielen kleinen Lügen, die sie in ihrem Leben aufrecht erhält, besser als die jungen Frauen. 

Aufregend ist der Film dabei nicht in den – teils krassen – Bildern, sondern dort, wo er die Frauen mit Worten die sexuelle Phantasie wecken lässt: Wenn die zu Wohlstand gekommene Studentin der im Wohlstand befindlichen Journalistin die Begegnungen mit ihren Freiern schildert, wird klar, dass Frauen mit bezahltem Sex mehr von Männern erfahren, als Frauen im kostenlosen Sex – sogar mehr Selbstbestimmung. Wie die junge Frau schildert, wie sich besteigen, betrachten, ja, auch bepissen lässt, macht die Zuhörerin wach und schockiert sie gleichzeitig. 

Die Regisseurin interessiert dabei nie wirklich für die Prostituierten oder den Menschenhandel – eher für den Bankrott der ehelichen Payfree-Sexualität. Das macht den Film zu einem Plädoyer für die Gratis-Lust. Aber leider auch zu einer Verleit-Bild des käuflichem Sex. Dabei wird auch deutlich, wie schwer – im Film – die Lust am sexuellen Reichtum der Phantasie zu trennen ist von der menschlichen Erniedrigung. Geld macht eben auch Sex zu einer Ware. Und Sex ist, das vergisst man so rasch, eben keine Ware per se, sondern ein Gratislustgewinn … Elle klammert da schlicht zu viel aus. Z.B. sind die Freier doch alle ziemlich hübsche Jungs, gute Sänger, liebe Pappis.

Der käuflich mag durchaus lebensfro sein –  solange nicht jemand dafür bezahlen muss – früher oder später. Meist bezahlen die Freier einmal für jetzt und die Frauen für immer. Darüber schweigt aber der Film aus der Wohlstandküche.  «Das anstrengendste ist das andauernde Lügen!» gesteht zwar die Prostituierte. Neu ist das aber nicht gerade. 

Immerhin erfahren wir, was die Käuflichkeit von Gefühlen mit den Menschen macht. Wir ahnen, wie der Gefühlshaushalt des Homo Oeconomicus aussehen wird, wenn Sex auch nur noch eine Handels-Ware ist. Im Geschlechterkampf wird zumindest alles angesprochen und nichts ausgesprochen. Nur eins ist gewiss: Ausgerechnet das Geschlechtsleben scheint im Geschlechterkampf zurückgeblieben zu sein.

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