Der islamisch-konservative Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan geht am Sonntag als haushoher Favorit in die erste direkte Präsidentenwahl in der Türkei. Der Wahlkampf endete offiziell am Samstag um 18.00 Ortszeit (17.00 MESZ).
Die beiden grössten Oppositionsparteien CHP und MHP nominierten den früheren Generalsekretär der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC), Ekmeleddin Ihsanoglu, als Kandidaten. Dritter Bewerber für das Präsidentenamt ist der Kurde Selahattin Demirtas von der pro-kurdischen Partei HDP.
Der 60-Jährige Erdogan kann Umfragen zufolge bereits im ersten Wahlgang auf eine absolute Mehrheit hoffen. In einer türkischen Umfrage vom Donnerstag vereinte Erdogan 57 Prozent der Stimmen auf sich. Sein Hauptrivale Ihsanoglu lag bei 34 Prozent. Sollte kein Kandidat eine absolute Mehrheit erzielen, ist für den 24. August eine Stichwahl geplant.
Rund 53 Millionen Bürger in der Türkei sind zur Wahl aufgerufen. Erstmals durften zudem bereits 2,8 Millionen Auslandstürken ausserhalb der Türkei abstimmen; davon machten aber nur 8,3 Prozent Gebrauch. In der Schweiz waren nach Angaben der türkischen Botschaft in Bern 87’085 Türkinnen und Türken wahlberechtigt.
Mehr Macht für Erdogan
Erdogan will über eine Verfassungsänderung dem Präsidentenamt mehr Macht verleihen. Sein Rivale Ihsanoglu sprach sich gegen ein Präsidialsystem aus.
Nach Ansicht von Experten wird Erdogan im Falle eines Wahlsiegs seine politische Machtstellung zementieren. Mit einem Präsidenten Erdogan «werden die EU und Deutschland ein sehr starkes Gegenüber haben, das mit europäischen Werten nicht viel am Hut hat», sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Gökay Sofuoglu, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP.
Erdogan habe zuletzt häufiger betont, dass der Westen mehr auf die Türkei mit ihren 76 Millionen Einwohnern angewiesen sei als umgekehrt. «Da wird es natürlich Knatsch geben.»
Islamische Werte
Da sich Erdogan als Ministerpräsident «viele Entscheidungen vom Parlament absegnen lassen musste», werde der Chef der islamistisch-konservativen Partei AKP seine Politikvorstellungen als Staatschef noch ungehinderter durchsetzen. Nach Einschätzung Sofuoglu dürfte Erdogan dabei «im Sinne islamischer Werte handeln».
Er habe in den Wahllokalen für die Türken in Deutschland auch für ihn selbst überraschend eine «sehr starke Gegnerschaft» gegen Erdogan gespürt, sagte Sofuoglu. Viele hielten «nichts davon, dass er sich immer mehr zum Alleinherrscher entwickelt».
Auch das gewaltsame Vorgehen gegen die Demonstranten im Istanbuler Gezi-Park komme bei Deutschtürken nicht gut an: «Die Menschen hier haben demokratische Werte verinnerlicht und sind dagegen, wenn sich eine Regierung so in eine Auseinandersetzung einmischt.»