Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan will den nach dem Putschversuch in der Türkei verhängten Ausnahmezustand bis mindestens ins kommende Jahr verlängern. Was er damit bezweckt, ist für die Oppositions klar: «autoritäres Regierungsverständnis durchsetzen, die Opposition zum Schweigen bringen und gegen die Menschenrechte verstossen».
Erdogan sagte am Donnerstag in Ankara, unter seinem Vorsitz habe der Nationale Sicherheitsrat am Vorabend beschlossen, eine Verlängerung um drei Monate zu empfehlen. Nach der Verfassung muss zunächst der Sicherheitsrat beraten, bevor formell das Kabinett – wieder unter Erdogans Vorsitz – die Verlängerung des Ausnahmezustands beschliesst.
Erdogan hatte den Ausnahmezustand nach dem Putschversuch vom 15. Juli verhängt. Er trat am 21. Juli für 90 Tage in Kraft und endet bislang mit Ablauf des 18. Oktobers. Wann das Kabinett die Verlängerung um weitere drei Monate beschliessen will, ist nicht bekannt.
Erdogan schloss am Donnerstag auch eine erneute Verlängerung nach diesen drei Monaten nicht aus. «Niemand soll uns einen Terminplan vorgeben», sagte er. «Vielleicht reichen auch zwölf Monate nicht.»
Erdogan macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch Mitte Juli verantwortlich. Mit Blick auf den Kampf gegen die Gülen-Bewegung in der Türkei sagte der Präsident am Donnerstag: «Das Problem ist so tiefgehend und so kompliziert, dass deutlich wird, dass drei Monate nicht genug sind.»
Per Dekret regieren
Der Staatspräsident kann im Ausnahmezustand per Dekret regieren. Die Dekrete haben Gesetzeskraft und müssen vom Parlament nur nachträglich gebilligt werden. Erdogan sagte am Donnerstag bei seiner Rede vor Ortsvorstehern im Präsidentenpalast, das Parlament sei nicht in der Lage, einen effektiven Kampf gegen den Terrorismus zu gewährleisten. «Das würde das Parlament vollständig überfordern und blockieren.»
Die grösste Oppositionspartei CHP hatte am Mittwoch kritisiert, dass im Ausnahmezustand zahlreiche Unschuldige festgenommen oder entlassen worden seien. Der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrikulu sagte am Donnerstag, die Regierung missbrauche den Notstand, «um ihr eigenes autoritäres Regierungsverständnis durchzusetzen, die Opposition zum Schweigen zu bringen und gegen die Menschenrechte zu verstossen».
Die pro-kurdische HDP ist gegen den Ausnahmezustand, die ultranationalistische MHP signalisierte am Donnerstag dagegen Zustimmung zu dessen Verlängerung. Das Parlament muss der Verlängerung zustimmen, wofür Erdogans islamisch-konservative AKP aber eine ausreichende Mehrheit hat.
Seit Verhängung des Ausnahmezustands wurden Zehntausende Menschen festgenommen, nach Regierungsangaben sitzen 32’000 von ihnen in Untersuchungshaft. Mehr als 50’000 Menschen wurden per Notstandsdekret aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Ihre Namen wurden im Amtsanzeiger veröffentlicht, ohne dass sie verurteilt worden wären.
Prokurdische TV-Sender unterbrochen
Per Dekret wurden zudem Dutzende Medien geschlossen. Jüngst unterbrachen die Behörden haben Satellitenübertragung mehrerer prokurdischer Fernsehsender. Zehn Sender können seit Mittwoch nicht mehr über den Satellitenbetreiber Türksat empfangen werden.
Dies teilte am Donnerstag ein Behördenvertreter im kurdisch geprägten Südosten der Türkei mit. Die meisten der betroffenen TV-Kanäle, unter denen auch ein Kindersender ist, seien in Diyarbakir ansässig. Auch die Ausstrahlung zweier Radiostationen, die auf Türkisch und auf Kurdisch senden, sei unterbrochen worden.
Seit dem Putschversuch hat die türkische Regierung auch ihr Vorgehen gegen die Rebellen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verschärft.