Kariem Hussein ist über 400 Hürden Europameister, dennoch nimmt er in Peking erstmals an Weltmeisterschaften teil. Alles andere als der Finaleinzug käme einer Enttäuschung gleich.
Drei Final-Klassierungen (Top 8) – so lautet die Zielsetzung von Swiss Athletics in der chinesischen Hauptstadt. Dabei ist jene von Hussein fix eingeplant. Der 26-jährige Thurgauer liegt mit 48,45 Sekunden in der Weltjahresbestenliste auf Platz 7. «Ich muss zuerst einmal den Vorlauf laufen, noch bin ich nicht einmal im Halbfinal», gibt sich Hussein vorsichtig. «An einer WM bist du mehr gefordert. Ich muss in jeder Runde Gas geben. Wir liegen nicht um Welten auseinander.»
Die Zuversicht bei Hussein ist dennoch gross, stimmt doch die Form. Die persönliche Bestzeit erzielte er am 8. August bei der WM-Hauptprobe an den Schweizer Meisterschaften in Zug – aus dem Training heraus. «Das gibt ihm ein sehr gutes Gefühl», so Trainer Flavio Zberg. «Solche Tests sind immer wichtig, sind ein wichtiger Teil auf einem Weg. Darum ist die Leistung als sehr hoch einzustufen.»
Überhaupt ist Hussein mit der Saison bislang sehr zufrieden, obwohl ihn im Juni eine Grippe zurückwarf und er in den ersten drei Rennen danach nur noch einmal unter 49 Sekunden (48,93) blieb. «Diese Leistungen konnte ich für mich einordnen. Das ist von aussen vielleicht nicht immer so einfach zu sehen», sagte Hussein. «Es kann nicht immer aufwärts gehen, das muss man akzeptieren. Das ist völlig in Ordnung.»
Klar ist, dass der Medizinstudent sein Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft hat. Im Winter machte er grosse Fortschritte über die Unterdistanzen und über 400 m. Auch die Kraftwerte sind besser. Die Umsetzung auf seine Disziplin bereitete ihm jedoch einige Mühe, auch weil er weniger Hürdentrainings absolvierte als im vergangenen Jahr. «Das habe ich, ehrlich gesagt, etwas unterschätzt. Es ist ein anderer Schritt, wenn man ohne Hürden trainiert. Das musste ich zuerst merken und mich anpassen.» Hussein läuft noch immer nicht den gleichen Rhythmus wie 2014, als er bis zur fünften Hürde 13 Schritte machte, dann vier Hürden lang 14 und bis zur letzten 15. Nun geht er die letzten beiden Hürden mit 15 Schritten an. «Das spielt aber keine Rolle. Schliesslich musst du einen Rhythmus laufen, der schnell ist», so Hussein.
Für Zberg war die grössere Schnelligkeit «der Schlüssel, dass es weitergegangen ist.» Überhaupt sei Kariem noch sehr ‚trainingsjung‘. Hussein hat sich erst 2009 für die Leichtathletik entschieden, davor wollte er Profi-Fussballer werden. «Wir sind in allen Bereichen noch nicht am Zenit, sei das in der Qualität, im Umfang, rhythmisch oder in den physischen Voraussetzungen», erklärte Zberg. «Wohin dies führen kann, können wir aber nicht beantworten.»
Hussein weilt bereits seit Donnerstag der Vorwoche in Peking. Er hat sich gut eingelebt, fühlt sich gut. «An den ersten beiden Tagen war ich etwas müde, mittlerweile hat es sich eingependelt. Die Leute sind sehr freundlich, sie bemühen sich.» Viel gesehen von der Stadt hat er bislang nicht, war er doch mit Ausnahme des Mittwochs bloss im Hotel und auf dem Trainingsgelände. Das Zentrum sah er noch nicht. Sein ganzer Fokus gilt dem Vorlauf vom Samstag. Dort will er ein erstes Zeichen setzen. Dass er mit Druck umgehen kann, zeigte er eindrücklich an der letztjährigen Heim-EM in Zürich. Bei dieser Fähigkeit half ihm auch das Studium. «Dort war der Druck essentieller fürs Leben. Das Studium hat gezeigt, dass ich schwierige Momente überstehen kann. Darüber bin ich sehr froh.» Und wer weiss, vielleicht gelingt ihm ja ein weiterer Exploit. Mit einer EM-Goldmedaille in Zürich hat schliesslich auch keiner gerechnet.