Die Schweizer Springreiter schaffen den Sprung an die Olympischen Spiele. Die Equipe holt an der EM in Aachen überraschend Bronze und löst das Ticket für Rio de Janeiro 2016.
Der letzte Umgang war an Dramatik kaum mehr zu überbieten. Vor dem Ritt von Schlussmann Paul Estermann auf Castlefield Eclipse drohte sogar noch das Olympia-Aus. Denis Lynch (Irl) oder Sergio Alvarez Moya (Sp) hätten mit einem Abwurf bezüglich Rio de Janeiro 2016 für die Schweiz vorzeitig alles klar machen können. Doch sie taten der Equipe von Andy Kistler diesen Gefallen nicht. Somit stand Estermann mächtig unter Druck. Einen Fehler hätte er sich erlauben können, aber nicht deren zwei.
Der Luzerner behielt im Sattel seiner Stute die Nerven. Er legte einen souveränen Blankoritt auf den Rasen, das Olympia-Ticket war gesichert. Danach überstürzten sich die Ereignisse bei den letzten vier Reitern. Weil Michael Whitaker tüchtig abräumte, fielen auch die Briten hinter die Schweiz zurück. Und als der Franzose Kevin Staut als letzter Starter zwei Stangen abwarf, rutschten Estermann, Romain Duguet, Martin Fuchs und Janika Sprunger sogar auf den Bronzeplatz vor. Wenige Minuten nach der Zitterpartie brach die Equipe sogar in Medaillen-Jubel aus.
«Wir hatten drei Penaltys. Und ich hoffte natürlich, dass wir den dritten nicht mehr brauchen», schilderte Kistler die bangen Moment. Als Estermann den dritten Penalty mit seinem Nullfehler-Ritt verwertete, hatte der Equipenchef den Wettkampf gedanklich bereits abgehakt. «Ich war wie weg.» Dann holte ihn Martin Fuchs in die Realität zurück und sagte, es gehe noch um Medaillen. «Als wird Bronze gewannen, dachte ich, ich träume», fügte Kistler hinzu. «Wir haben gleich zwei tolle Geschenke für unsere harte Arbeit erhalten.»
Nerven wie Drahtseile
Estermann war sich der delikaten Ausgangslage vor seinem Ritt nicht bewusst. Er schottete sich ab, «ich wollte das nicht wissen. Aber ich war immer zuversichtlich, dass meine Milly gut im Schuss sein würde.» Von der Dramatik um die Medaillenvergabe hatte der 52-Jährige gar nichts mitbekommen. «Ich war noch auf dem Abreitplatz, als Martin Fuchs auf mich zu rannte und jubelte.» Die Rolle als Schlussreiter behagt dem Routinier Estermann offensichtlich. Allerdings gestand er ein, «dass die letzten Tage speziell nervenaufreibend waren.»
Letztmals hatte die Schweiz 2009 an einem Grossanlass auf dem Podest gestanden. 2009 feierten Pius Schwizer, Daniel Etter, Steve Guerdat und Clarissa Crotta Gold an den EM in Windsor.
Romain Duguet hatte auf Quorida de Treho die Schweizer Equipe nach einem Nullfehler-Ritt auf Olympia-Kurs gebracht. Doch der Schein trügte: Martin Fuchs im Sattel von Clooney mit 9 Strafpunkten und Janika Sprunger auf Bonne Chance mit einem Abwurf konnten den Sack nicht zumachen. Doch Estermann sorgte für ein unerwartetes Happy-End.
Die Schweizer befreiten sich in Aachen aus einer misslichen Lage. Nach einem verpatzten Jagdspringen am Mittwoch hatte es für die Equipe von Andy Kistler noch düster ausgesehen. Mit drei Blanko-Runden am Donnerstag wurde dann die Wende eingeleitet und sogar eine vorteilhafte Ausgangslage kreiert. Die Schweiz lag vor dem Finale bloss einen Abwurf hinter Grossbritannien, aber um eine Stange vor dem Trio Dänemark, Spanien und Irland. Dieses Quintett bestritt den Wettkampf im Wettkampf, jenen um die Olympia-Qualifikation. An eine Medaille dachte aus Schweizer Sicht kaum jemand.
In den sauren Apfel beissen mussten letztlich die Iren und die Dänen. Mit Belgien war ein weiterer Favorit am Donnerstag gescheitert. Die Schweiz hingegen holte somit im zweiten Anlauf nach, was an den Weltreiterspielen 2014 in Caen (Fr) verpasst worden war. Es drohte die Schmach, sich erstmals seit Montreal 1976 nicht als Team für die Olympischen Spiele zu qualifizieren – das Fehlen 1980 in Moskau war einem Boykott geschuldet.
Gold gewann Holland vor Deutschland. Die Holländer bestätigen ihren Weltmeister-Titel 2014 von Caen (Fr) mit demselben Team.