Die salvadorianische Psychologin Cecilia Pocasangre erzählt von den Langzeitfolgen des Bürgerkriegs und den Gründen, die hunderttausende von Jugendlichen jährlich zur Migration bewegen.
Die 49-jährige Cecilia Pocasangre studierte Psychologie und arbeitet bereits seit 23 Jahren bei ACISAM (Asociación de Capacitaciòn e Investigación para la Salud Mental), einem Hilfswerk, das unterschiedliche Projekte mit Jugendlichen und Erwachsenen umsetzt, vor allem in ländlichen Gebieten.
Seit einigen Jahren wird ACISAM von «terre des hommes schweiz» unterstützt. Im Rahmen der Tagung «Hart an der Grenze» wurde Pocasangre von «terre des hommes Schweiz» eingeladen, einen Vortrag über die Migration junger Salvadorianer zu halten. Wir trafen sie zu einem Gespräch.
Was ist genau Ihre Tätigkeit bei ACISAM?
Ich arbeite als Gemeindepsychologin in ländlichen Regionen El Salvadors. Zur Zeit bin ich vor allem in Chalatenango tätig, einer der grössten und zugleich unbewohntesten Regionen El Salvadors. Kinder und Jugendliche sollen mit unserer Hilfe eigene Projekte entwickeln – und dann auch verwirklichen. Wir bevormunden sie dabei nicht. Zum Beispiel drücken wir ihnen eine Kamera in die Hand und sagen, sie sollen ihr Leben filmen. Wenn sie dann einen Film über das Thema Migration drehen, ist das nicht, weil wir das so wollen, sondern weil es die Jugendlichen wirklich beschäftigt.
ACISAM wurde während dem Krieg gegründet…
Ja, von drei Psychologen im Jahr 1985. Sie sahen damals die Notwendigkeit, den psychosozialen Folgen des Bürgerkriegs zu begegnen.
Ist die Traumabewältigung der Nachkriegszeit immer noch ein zentraler Aspekt Ihrer Arbeit?
Im Moment nicht. Aber die Folgen des Kriegs sind in unserer Arbeit stets präsent, dazu muss man sich nicht spezifisch damit auseinandersetzen. Wir versuchen immer wieder, die Geschichte in Erinnerung zu rufen.
Was für eine Rolle spielt dabei das Bild der USA, das in den Medien vermittelt wird?
In den Fernsehprogrammen in El Salvador sieht man häufiger Amerikaner als Salvadorianer. Das trägt bestimmt dazu bei, das perfekte Bild Amerikas aufrecht zu erhalten und die Auswanderungslust zu nähren. Die Jugendlichen haben durch das Fernsehen ein verklärtes Bild von den USA.
Dann stehen die Migranten also unter sozialem Druck?
Es besteht eine hohe Erwartung, dass sie Geld nach Hause überweisen. Viele Frauen, die zurückbleiben, hören auf zu arbeiten, wenn ihr Mann auswandert. Meiner Meinung nach sollten die Leute aber weiterhin arbeiten, dann könnte das überwiesene Geld nachhaltig investiert werden, anstatt es einfach für den Konsum auszugeben. Zum Teil ist es heute schon so, dass die Überweisungen nicht nur die täglichen Ausgaben decken, sondern zum Beispiel auch die Ausbildung der Kinder ermöglichen.
Haben die Ausgewanderten Hemmungen, mit ihren Landsleuten über die harten Seiten der Auswanderung zu sprechen?
Ja, das mag sein. Manche beschönigen das Leben, das sie in den USA führen. Aber viele sehen sich tatsächlich in einer besseren Lage – im Ausland leben die meisten zwar nicht gerade wie die Fürsten, trotzdem haben sie jetzt vielleicht ein Badezimmer, etwas, das sie nie zuvor besassen. Sie sind dann so hingerissen von diesem neuen Besitz, dass die Erinnerung an den harten Weg verblasst.
Aber die Nachrichten über Entführungen und Ermordungen von Salvadorianern müssen das Volk doch trotzdem erreichen?
Die Jugendlichen sind sich dieser Gefahren durchaus bewusst. Mehr noch – die Gefahren gehören sogar dazu. Der Weg von El Salvador über Guatemala und Mexico in die USA gilt als heldenhaft. Er erhält einen symbolischen Wert als Initiationsreise. Dieser Mythos bestärkt die Männer in ihrer hegemonialen Männlichkeit.
Was bedeutet das für die Frauen, die emigrieren? Gibt es solche überhaupt?
Im Allgemeinen sind es viel weniger Frauen als Männer. Die wenigen, die gehen, werden als «Machas» (umgangssprachlich für Mannsweiber), angesehen. Die Vergewaltigungen auf der Route sind so zahlreich, dass die Mädchen meistens Verhütungsmittel injiziert bekommen, damit die nicht auch noch schwanger werden.
«Wir versuchen, den Jugendlichen die Alternativen aufzuzeigen, die sie in El Salvador haben.»
Das ist nicht sehr optimistisch…
Nein. Es ist aber die Realität. Auch die Coyotes (umgangssprachlich für «Schlepper») empfehlen dies.
Wie können Jugendliche wirksam für das Thema Migration sensibilisiert werden?
Ich glaube nicht, dass man das nur mit Gräuelgeschichten schafft. Man muss vielmehr versuchen, die Alternativen aufzuzeigen, die es hier in El Salvador gibt – damit es sich Jugendliche zweimal überlegen, ob sie gehen wollen. Es geht ja nicht darum, ihnen die Migration auszureden. Alle Menschen haben das Recht, zu emigrieren. Manchmal sind die finanziellen Umstände nicht sehr begünstigend, man braucht ein Startkapital, um auszuwandern. Aber die Salvadorianer haben die besondere Eigenschaft, dass sie sich immer irgendwie durchsetzen – das gilt auch für die Migration.
Der heutige Präsident Mauricio Funes gehört der ehemaligen Guerilla-Partei FMLN an. Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme sind nach Ende des Bürgerkrieges immer noch gross. 48 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Hunderttausende von Jugendlichen, Erwachsenen und Kindern nehmen jährlich den gefährlichen Migrationsweg über Guatemala und Mexiko in die USA auf sich, um dort ein besseres Leben aufzubauen.