Sechs Jahre nach Schachtjor Donezk peilt mit Dnjepr Dnjepropetrowsk ein weiterer ukrainischer Klub den Triumph in der Europa League an. Der Titelhalter FC Sevilla ist allerdings höher einzuschätzen.
Hinter der bemerkenswerten Erfolgsstory von Dnjepr Dnjepropetrowsk steckt wesentlich mehr als ein weltweit operierendes Wirtschafts-Konglomerat, das von milliardenschweren Besitzern gelenkt wird. Die Equipe wurde nach sportlichen Kriterien sorgfältig zusammengestellt. An der soliden Basis steht das einheimische Element, sinnvoll ergänzt von sehr gut honorierten Arbeitnehmern aus der südlichen Hemisphäre.
Von hoher Relevanz ist selbstredend der sportpolitische Hintergrund des ukrainischen Aussenseiters. Der überraschende Finalist stammt aus dem derzeit grössten Krisenherd Europas. Teile der Ukraine werden von einem blutigen Bruderkrieg mit russischen Separatisten lahmgelegt. Der frühere sowjetische Meister soll das Gemüt der geschundenen Nation vorübergehend etwas aufhellen.
Das ukrainische Fussball-Volk dürstet inmitten der alltäglichen Depression nach einem Hoffnungsschimmer. Für die Beteiligten von Dnjepropetrowsk stehen in Warschau die überregionalen Interessen im Vordergrund. «In diesen harten Zeiten wollen wir die Helden inspirieren, die unser Land verteidigen», erklärte Dnjepr-Professional Artem Fedezky stellvertretend. Sein Coach Myron Markewitsch platzierte eine ähnliche Botschaft: «Wir wissen, dass die ganze Ukraine mit uns im Stadion sein wird.»
Von der Zerstörung im Osten des Landes blieb die Millionen-Stadt mit dem gleichnamigen Fluss bisher verschont, die Frontlinie ist rund 150 Kilometer entfernt. Aus Sicherheitsgründen belegte die UEFA den Verein allerdings mit der einschneidenden Auflage, alle Heimspiele nach Kiew zu verlegen. Die Umplatzierung kostete Dnjepr Millionen. Zur entscheidenden Partie am Ende der Vorrunde erschienen 2569 Zuschauer. Erst im Halbfinal-Rückspiel füllten 70’000 das Olympia-Stadion bis auf den letzten Platz.
Der trostlosen Rahmenbedingungen zum Trotz und nach einem zunächst miserablen Start – Out in der Champions-League-Qualifikation und drei torlose Auftritte hintereinander während der Gruppenspiele – schaltete die aktuelle Nummer 3 der Ukraine in der Knock-out-Phase der Reihe nach Ajax Amsterdam, den FC Brügge und den italienischen Topklub Napoli aus.
Die Plattform Europa League ist nicht nur der speziellen supranationalen Konstellation wegen beträchtlich, auch die wirtschaftliche Bedeutung des nur auf dem Papier zweitklassigen Wettbewerbs ist nicht zu unterschätzen. Dem Titelhalter FC Sevilla flossen in der letzten Saison 14,6 Millionen Euro Prämien der UEFA zu. Dank dem Reingewinn der Heimspiele touchierte der mittelgrosse Klub die 20-Millionen-Marke.
Im vierten Endspiel der zweitwichtigsten Kategorie innerhalb einer Dekade könnte der Sevilla Fútbol Club im Erfolgsfall nicht nur zum Rekordsieger aufsteigen, sondern in eine neue finanzielle Dimension vorstossen. Erstmals überhaupt qualifiziert sich der Sieger direkt für die Gruppenphase der Champions League. Es wäre die Fortsetzung eines Märchens.
In der Primera Division etablierten sich Los Rojiblancos nach ihrer wirtschaftlichen Genesung in der zweiten Klasse und der sofortigen Rückkehr 2001 im oberen Tableau-Drittel. Einzig der FC Barcelona und Real Madrid bewegen sich ausserhalb ihrer sportlichen Reichweite. Ihr baskischer Coach Unai Emery, mit 49 Europa-League-Spielen Rekordhalter in dieser internationalen Kategorie, hat das spielerische und taktische Volumen seit seinem Einstieg im Sommer vor zwei Jahren weiter angehoben. Der kolumbianische Topskorer Carlos Bacca entwickelte sich im attraktiven System Emerys zu einem der besten Stürmer des spanischen Championats.
Ausser Napoli erreichte kein anderer Verein in der aktuellen Kampagne bessere Offensivwerte. In 14 Partien erzielten die Südspanier 26 Tore – im Schnitt doppelt so viel wie der ukrainische Herausforderer. Die Serie der Ungeschlagenheit umfasst auf internationaler Ebene inzwischen neun Spiele.