Frankreich und Deutschland, zwei Schwergewichte des europäischen Fussballs, stehen heute vor einer Prüfung durch die Afrikaner, die erstmals zwei Teams in den Achtelfinals einer WM stellen.
Die Franzosen spielen gegen Nigeria, die Deutschen gegen Algerien. Die Mannschaften aus Afrika, deren fussballerisches Talent seit vielen Jahren unbestritten ist, nahmen sich schon oft selber aus dem Rennen. Ausgerechnet zum wichtigsten Zeitpunkt pflegen sie internen Zank auszutragen. Meistens geht es um Bares. Auch in Brasilien stand das Feilschen um WM-Prämien wieder ganz oben in der Traktandenliste, sowohl bei Kamerun und Ghana als auch bei Nigeria.
Fakt aber ist: Mit dem gut 150 Millionen Einwohner zählenden Nigeria, dem mit Abstand bevölkerungsreichsten Staat Afrikas, und dem 2,4 Millionen Quadratkilometer umfassenden Algerien, dem flächenmässig grössten Land des Kontinents, haben erstmals zwei Equipen aus ihrer Konföderation die Vorrunde überstanden. Beide haben dasselbe Ziel. Nigeria und Algerien wollen erstmals in die Viertelfinals, was bisher aus Afrika erst Kamerun (1990), dem Senegal (2002) und Ghana (2010) gelungen ist. Beide sind sie aber heute Montag krasser Aussenseiter.
Keiner der aktuellen algerischen Profis war geboren, als 1982 an der Endrunde in Spanien jenes Spiel stattfand, das als «Schande von Gijon» in die Annalen der Fussball-Geschichte einging. Damals schoben sich Deutschland und Österreich beim Stand von 1:0 aufreizend lange und bis zum bitteren Ende nur noch den Ball hin und her. Dank diesem abgekarteten Gekicke konnten sie die Nordafrikaner aus dem Turnier kippen. «So trifft man sich wieder», lautete deshalb der Titel in einer algerischen Zeitung. Revanche ist angesagt heute Abend in Porto Alegre ab 22.00 Uhr Schweizer Zeit.
In Deutschland interessieren vorab personelle Fragen wie die, ob nun Bastian Schweinsteiger oder Sami Khedira im Mittelfeld spielen oder wer für den verletzten Lukas Podolski zum Einsatz kommt. Doch wer auch immer aufläuft; eigentlich egal. In unserem nördlichen Nachbarland wird das Treffen mit Algerien sowieso nur als Aufgalopp in die K.o.-Phase gesehen. Seitdem 1986 der aktuelle Modus eingeführt worden ist, überstand Deutschland die WM-Achtelfinals ohne Ausnahme. Wer kann es den Deutschen also verdenken, wenn sie sich gedanklich bereits auf den Viertelfinal ausrichten, in dem sie Frankreich als Gegner erwarten.
Vahid Halilhodzic, Algeriens bosnischer Coach, vertraut auf den Zusammenhalt seiner Akteure: «Wir haben keinen Eto’o oder Drogba. Aber wir können die Deutschen mit einer taktisch guten Leistung ärgern.» Islam Slimani, Angreifer von Sporting Lissabon und seit seinem Treffer zum Ausgleich gegen Russland als Volksheld verehrt, haut in dieselbe Kerbe: «Es wird schwer. Aber in 90 Minuten ist alles möglich.»
Und schliesslich können die Algerier auf eine ganz besondere Bilanz verweisen. Sie sind das einzige Land, gegen das Deutschland mehr als einmal gespielt und dabei noch nie gewonnen hat. Zwei Partien gab es bisher. Vor 50 Jahren gewannen die Nordafrikaner ein Testspiel in der Hauptstadt Algier 2:0, und 1982 siegten sie an der WM-Endrunde in Spanien in der Vorrunde sensationell 2:1, ehe sie durch die besagte «Schande von Gijon» doch noch auf der Strecke blieben. Lakhdar Belloumi und Rabah Madjer, die beiden damaligen Torschützen, kennt heute in Algerien noch jedes Kind.
Frankreich will weiter offensiv agieren
Die Franzosen fügten der Schweiz in der Vorrunde ein schmerzhaftes 5:2 zu. Absolut problemlos zog die Equipe von Trainer Didier Deschamps in die Achtelfinals ein. Aber noch immer stellt sich die Frage: Sind die Franzosen, die eine schwierige Qualifikation für die WM durchlebten, wirklich so gut? Selbst der Achtelfinal gegen Afrika-Meister Nigeria, der heute Montag um 18.00 Uhr Schweizer Zeit in Brasilia angepfiffen wird, kann diesbezüglich vielleicht noch keine schlüssige Antwort geben. Eines aber ist klar: Frankreich ist haushoher Favorit, wenngleich das bisher einzige Duell, ein Testspiel 2009 in St-Etienne, mit 1:0 an Nigeria gegangen war.
Kein anderes Team schoss in der Vorrunde so oft aufs gegnerische Tor wie die Franzosen. «Wir dürfen unser Spiel nicht ändern», sagt Mittelfeldspieler Yohan Cabaye, «wir müssen weiter offensiv und auf Sieg spielen.» Aussenverteidiger Bacary Sagna, neben Goalie Hugo Lloris, Patrice Evra und Mathieu Valbuena einer von nur vier Spielern, die schon vor vier Jahren beim schmachvollen Vorrunden-Out in Südafrika mit dabei waren, schlug sogar forsche Töne an: «Wir können hier viel erreichen. Unser Ziel muss der Titel sein.» Mit dieser Aussage machte er Deschamps keine Freude. Der hält nichts von solchem Übermut: «Noch haben wir nichts gewonnen.»
Die Nigerianer sind in der Vergangenheit schon zweimal in den Achtelfinals einer WM an europäischen Gegnern gescheitert. 1994 gegen Italien und 1998 gegen Dänemark. Diesmal wollen sie es besser machen, nachdem der Staatspräsident persönlich sein Einverständnis zur Aufstockung der WM-Prämie gegeben haben soll. Nigerias Coach Stephen Keshi ist übrigens der erste afrikanische Trainer, der es mit einem Team vom Schwarzen Kontinent in die Achtelfinals geschafft hat.