Der deutsche Altkanzler Helmut Kohl hat für «mehr europäischen Gemeinsinn und Gemeinschaftsgeist» geworben. Es sei dabei vor allem die Politik gefordert, sagte der CDU-Politiker am Montag bei der Vorstellung seines neuen Buchs zur Zukunft Europas in Frankfurt am Main.
Er habe nie aufgehört, an Europa zu glauben, sagte Kohl bei der gemeinsamen Präsentation seines Buches «Aus Sorge um Europa» mit dem neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. «Unsere Zukunft heisst Europa», mahnte der CDU-Politiker.
In seinem Buch macht Kohl unter anderem die frühere rot-grüne Bundesregierung unter seinem Nachfolger Gerhard Schröder (SPD) für Fehlentwicklungen verantwortlich. So kritisiert der 84-Jährige vor allem eine verfrühte Aufnahme Griechenlands in die Eurozone und ein Aufweichen des Euro-Stabilitätspakts. Beide Entscheidungen seien auf deutscher Seite von einer rot-grünen Bundesregierung getroffen und zu verantworten, heisst es in dem Buch.
«Grosser Europäer»
Kohl beklagt auch das derzeitige Verhältnis zu Russland. Dass sich die G-7-Staaten im Juni ohne Russland getroffen hätten, habe er «einschneidend und auch bedrückend» gefunden, schreibt der Altkanzler. «Im Ergebnis muss der Westen genauso wie Russland und die Ukraine aufpassen, dass wir nicht alles verspielen, was wir schon einmal erreicht hatten.»
EU-Kommissionspräsident Juncker lobte Kohl in seiner Laudatio als «grossen Europäer». Ohne Kohl wäre seiner Ansicht nach «die gelungene deutsch-deutsche Wiedervereinigung» so nicht möglich gewesen. Für ihn sei es eine «glückliche Fügung», seinen ersten Tag im neuen Amt mit Kohl verbringen zu können, sagte Juncker weiter.
«Viel Falsches berichtet»
Kohl sitzt im Rollstuhl und kann nur sehr mühsam sprechen. Der Altkanzler wurde von seiner Frau Maike Kohl-Richter zu der Buchvorstellung begleitet. Sie erklärte zu Beginn der Medienkonferenz: «Ich sage jetzt selbst ein paar Sätze, weil schon so viel Falsches über uns berichtet worden ist.»
Kohl habe vor sechseinhalb Jahren einen Unfall gehabt. Sie begleite ihn, um ihn – wenn nötig – zu unterstützen. Seine Geistesleistung sei aber nicht beeinträchtigt.
Kohl-Richter wird von Helmut Kohls Söhnen und einigen seiner früheren Wegbegleiter vorgeworfen, sie schotte den Altkanzler ab. Manche sehen darin den Versuch der zweiten Ehefrau Kohls, die Deutungshoheit über dessen Wirken und politisches Vermächtnis zu erhalten.
Im Oktober war das Buch des Journalisten und ehemaligen Ghostwriters von Kohl, Heribert Schwan, erschienen. In «Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle» wird der Altkanzler mit drastischen Äusserungen über frühere Weggefährten zitiert. Kohl hatte zunächst erfolglos versucht, die Veröffentlichung zu verhindern.