Die Landwirtschaft braucht neue Nutzpflanzensorten, um Erträge zu steigern und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Dafür sollten auch neue Züchtungstechniken zum Einsatz kommen dürfen, mit denen das Erbgut der Pflanzen gezielt verändert wird.
Dafür plädieren Experten in einem neuen Faktenblatt der Akademien der Wissenschaften Schweiz. Die neuen Techniken erweitern die Möglichkeiten der Pflanzenzüchtung erheblich und könnten dazu beitragen, die Schweizer Landwirtschaft umweltfreundlicher und wirtschaftlicher zu machen.
Aus Sicht der Naturwissenschaften gebe es keinen Grund, diese Techniken unter strengere Regulierung zu stellen als konventionelle Züchtungstechniken, halten die Autoren des Dokuments «Neue Pflanzenzüchtungstechniken für die Schweizer Landwirtschaft – grosses Potenzial, offene Zukunft» fest.
Das Gentechnikgesetz geht ursprünglich auf die Annahme zurück, dass gentechnische Methoden mit speziellen Risiken verbunden sind. Heute ist bekannt, dass das grundsätzlich nicht der Fall ist. Daher sei es angebracht, die gesetzlichen Bestimmungen an den aktuellen Kenntnisstand anzupassen, plädieren die Wissenschaftler.
Schneller und präziser
Mit einer Vielzahl moderner Methoden aus der Molekularbiologie, greifen Züchter vermehrt direkt auf Ebene der Erbinformation ein, um die Eigenschaften von Nutzpflanzen zu verändern. Im Vergleich zu konventionellen Züchtungsmethoden sind diese Techniken viel schneller und präziser. Ausserdem hinterlassen sie meist kein fremdes Erbgut in der Pflanze.
Unter diese «neuen Züchtungstechniken» fällt beispielsweise die Genschere Crispr-Cas, die auf einfache Weise präzises Editieren der Erbinformation erlaubt. Allen im Faktenblatt aufgeführten Methoden ist gemeinsam, dass sie die genetische Information beeinflussen, entweder auf Ebene der Erbgutsequenz oder auf Ebene der Expression von Genen.
Derzeit findet global eine Debatte darüber statt, ob die auf diese Weise erzeugten Sorten als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zu gelten haben oder nicht. Auch in der Schweiz gebe es Klärungsbedarf, schreiben die Forscher.
GVO oder nicht?
Die zentrale Frage dabei ist, ob das genetische Material der Pflanzen so verändert wurde, wie es unter natürlichen Bedingungen beispielsweise durch Kreuzungen und natürliche Rekombination nicht vorkommen könnte. Nur wenn diese Frage mit Ja beantwortet werden muss, soll die neue Pflanze als GVO im Sinne des Gentechnikgesetzes gelten.
In einigen Fällen werden bei diesen neuen Pflanzenzüchtungstechniken jedoch fremde DNA vorübergehend oder dauerhaft in die Pflanze eingebracht, was diese unter Umständen zu einem GVO macht. Das betrifft jedoch in den meisten Fällen Zwischenprodukte im Züchtungsprozess und nicht die finale Sorte.
In der Schweiz gilt noch bis zum Jahr 2017 ein Moratorium für den Anbau von GVO und wird höchstwahrscheinlich bis 2021 verlängert. Ob es dafür bei einem generellen Verbot von GVO bleiben wird oder es unter Auflagen eine Koexistenz von Anbauflächen mit GVO und mit konventionell erzeugten Sorten gebe soll, ist derzeit offen.
In diesem Zusammenhang schlagen die Autoren des Faktenblatts verschiedene Optionen vor: Zum Beispiel könnte man den Interpretationsspielraum der bisherigen gesetzlichen Regelung zugunsten der neuen Techniken ausnutzen, oder die Liste der Techniken ergänzen, die nicht als gentechnische Verfahren gelten, um die neuen Züchtungstechniken mit einzuschliessen.
Fokus auf Produkt statt Prozess
Eine weitere Option wäre ein Paradigmenwechsel hin zu einer Regulierung, die auf dem Produkt basiert und nicht grundsätzlich auch den Herstellungsprozess einschliesst. Risiken für Mensch und Umwelt, vor denen das Gentechnikgesetz schützen soll, können nur vom Produkt, nicht aber vom Verfahren ausgehen. Aus wissenschaftlicher Sicht sei ein solcher Paradigmenwechsel daher angezeigt.
Der weltweite Bedarf an Nahrungsmitteln wird Schätzungen zufolge bis 2050 um 70 Prozent steigen. Diese Entwicklung betrifft auch die Schweiz. Da die Anbauflächen begrenzt sind und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Schweiz langfristig reduziert werden soll, ist die Landwirtschaft auf neue Sorten angewiesen, wenn die Abhängigkeit von Importen nicht weiter steigen soll. 2013 produzierte die Schweiz netto nur die Hälfte ihres Kalorienbedarfs selbst.