Die Wirtschaft kritisiert den Bundesrat, bei der Umsetzung der Zuwanderungsinitiative der SVP den Spielraum nicht auszunützen. Die Regierung spielt den Ball zurück und fordert die Unternehmen auf, bei der Fachkräfteinitiative endlich Einsatz zu zeigen.
Wirtschaftsvertreter fürchten bei einer Einführung von Kontingenten um die Rekrutierung von Fachkräften. Ohne Spezialisten aus dem Ausland «müssen wir einen Teil der Arbeit ins Ausland verlagern», sagt etwa Swissmem-Präsident Hans Hess im Interview mit der «NZZ am Sonntag».
Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer befürchtet «einen negativen Einfluss auf den Wirtschaftsstandort Schweiz», wenn hoch qualifizierte Arbeitskräfte nur noch in reduziertem Ausmass aus dem Ausland rekrutiert werden könnten, sagte er im Interview mit der «Zentralschweiz am Sonntag».
Wirtschaft in der Pflicht
Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann kontert mit der Fachkräfteinitiative, welche vor drei Jahren ins Leben gerufen worden sei. Dabei sei ein «Strauss von Massnahmen» festgelegt worden. «Jeder der Partner hat seinen Auftrag und muss liefern. Ganz besonders gefordert sind diejenigen, die wirklich Jobs anbieten können: die Unternehmen», sagte er in Interviews mit dem «SonntagsBlick» und der «NZZ am Sonntag».
Dabei gehe es eigentlich nicht darum, dass die Leute mehr arbeiteten, sagte er dem «SonntagsBlick». «Anzustreben ist viel mehr, dass mehr Leute arbeiten können.» Das Potenzial sei bei den Frauen am grössten, doch bestünden auch bei älteren Arbeitnehmenden Möglichkeiten.
In der «NZZ am Sonntag» lanciert Schneider-Ammann zudem die Idee der älteren Lehrlinge: «Wieso muss ein Lehrling beim Lehrantritt 16 Jahre alt sein? Wir können die Lehrstellen nicht alle besetzen. Also können wir doch auch älteren Menschen die Chance auf eine Lehre geben.»
Wirtschaft zu lange egoistisch
Rolf Dörig, Verwaltungsratspräsident des Lebensversicherers Swiss Life und des Personalvermittlers Adecco, betrachtet als einer der wenigen Wirtschaftsvertreter die Zuwanderungsinitiative als Chance und nutzt das Ja der Schweizer Bevölkerung zur Selbstkritik.
«Wir als Wirtschaftsführer haben zu lange ausschliesslich die Unternehmensinteressen verfolgt und die Rahmenbedingungen aus wirtschaftlicher Optik ausgereizt. Wir haben zu lange nicht wahrgenommen, was in der Gesellschaft passiert,» sagte er im Interview mit der «Schweiz am Sonntag».
Sozialpartnerschaft, Generationenvertrag und gesellschaftlicher Zusammenhang stünden heute auf der Kippe, dies habe die Masseneinwanderungsinitiative gezeigt. «Ich persönlich bin froh über den Volksentscheid, denn dieser führt nun dazu, dass wir die wichtigen Themen diskutieren.»
Dörig stellt etwa die Tiefsteuerpolitik in Frage. «Dass wir steuerlich attraktiv bleiben, ist wichtig und zwingend. Aber persönlich bin ich der Meinung, dass wir bei der Pauschalbesteuerung von Privaten und bei der Privilegierung von Briefkastenfirmen zu weit gehen.»
Es sei nicht fair, dass die regulär besteuerte Bevölkerung die ganze Infrastruktur bezahlen müsse, von der dann auch Leute profitierten, die fast nichts zur Finanzierung beisteuerten.