Falsche Patina

Dinge mit künstlichen Gebrauchsspuren kosten oft mehr als neue.

Die Tasse mit künstlichen Gebrauchsspuren gibt es bei Butlers, Eisengasse 5, Basel für 9.90 Franken. www.butlers.ch (Bild: Hans-Jörg Walter)

Dinge mit künstlichen Gebrauchsspuren kosten oft mehr als neue.

Der perverseste Ausdruck des Überflusses, in dem wir leben, ist der sogenannte «Used-Look», heutzutage auch als «Shabby-Chic» be­titelt: ­Dinge, denen man eine künstliche Patina verliehen hat. Abgewetzte oder zerrissene Jeans, Stiefel und ­Taschen, deren Leder aussieht wie fünf Jahre nie eingecremt, und ­Möbel, deren Kanten und Flächen Abnutzungs­spuren aufweisen.

Auch Geschirr muss dran glauben: Wie hätte man sich früher geschämt, seinen Gästen das Essen auf einem angeschlagenen Teller zu servieren. Wenn man sich etwas leistete, achtete man darauf, dass es möglichst lange aussah wie neu, Schutz­hüllen über Sofas und Autositzen zeugen davon. Heute schützt man höchstens noch das Handy vor Gebrauchsspuren, der Rest darf gern «authentisch» aussehen. Man könnte sich also in Secondhand-Läden und Brockis eindecken, aber viele ekeln sich vor gebrauchten Sachen, also müssen neue Sachen alt aussehen.

Die Spuren des Lebens

Die Dinge mit der vorgetäuschten Patina kosten mehr als solche, die wirklich neu aussehen. Das macht auch durchaus Sinn – die Abnutzung mehrerer Jahre innerhalb weniger Minuten in einer Massenproduktion zu fingieren, ist viel Arbeit. Eigentlich ist das gar nicht so schlimm, denn in gewisser Weise wird hier das Leben gefeiert, das ja auch die eine oder ­andere Spur an uns hinterlässt.

Dennoch hinterlässt die gekaufte Patina ein schales Gefühl: Wer einem den Kaffee in einer angeschlagenen Tasse serviert, die er über Jahre liebgewonnen hat und trotz ihrer Mängel gerne benutzt, ist sicher ein guter Freund oder Lebenspartner. Wer die Tasse hingegen kaputt gekauft hat, um ­seiner Vergangenheit eine Aura der Authentizität zu verleihen (und damit seine Küche aussieht wie ein provenzalisches Café), könnte sich als Enttäuschung herausstellen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.03.13

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