In Wisconsin leben friedliebende Menschen. Aber die polarisierende Politik von Governor Scott Walker hat sie in den letzten Monaten gegeneinander aufgewiegelt. Die Spaltungen gehen mitten durch Familien, wie die beiden Aufkleber auf der Heckscheibe eines Trucks in Wisconsin zeigen.
Manche in den USA vergleichen die Bedeutung der „Abruf-Wahl“ in dem nördlichen Bundesstaat Wisconsin mit der Rolle des spanischen Bürgerkriegs für den Zweiten Weltkrieg: eine Generalprobe.
Das ist natürlich Unsinn. Denn erstens gibt es in Wisconsin heute nur Wahlen und zum Glück keinen Krieg (auch wenn Governor Scott Walker in seiner kurzen Amtszeit bereits das Tragen von versteckten Schusswaffen mit zwei Gesetzen erleichtert hat, weswegen ihm die „National Rifle Association“ zuerst einen Preis und dann eine Wahlempfehlung gegeben hat). Und zweitens ist Wisconsin eine sehr grüne Landschaft, produziert exzellenten Käse und ist kulturell eher nordeuropäisch geprägt als spanisch.
Aber der historische Vergleich zeigt, wie aufgewühlt die Stimmung in dem friedlichen Bundesstaat geworden ist, seit der Republikaner Scott Walker dort im November 2010 mit der Unterstützung von Tea Party, Schusswaffenlobby und dem Ölkonzern Koch-Industries zum Governor gewählt wurde.
Walker versteht sich als Pionier im Kampf gegen Mitbestimmung am Arbeitsplatz und gegen Gewerkschaften. Gleich zu Anfang seiner Amtszeit hat er nicht nur die Löhne der 160’000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst um rund 9 Prozent gesenkt (wobei er die Polizei ausgenommen hat, weil er nicht riskieren wollte, dass sie streikt) sondern auch Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst abgeschafft. Er begründete dies damit, dass er den defizitären Haushalt sanieren wolle. Doch er konnte nicht erklären, wieso es den Haushalt saniert, wenn Lehrerinnen und Krankenschwestern nicht mehr bei der Gestaltung ihrer Arbeit mitreden dürfen. Und Mitglieder von Walkers Regierung gaben wenig später offenherzig zu, dass es tatsächlich darum gehe, die Gewerkschaften mundtot zu machen: Unter anderem, weil sie im Wahlkampf eher auf Seiten der Demokratischen Partei stehen.
Mit der Attacke gegen die Gewerkschaften löste Walker in Wisconsin die größte Protestbewegung seit dem Vietnamkrieg aus. Im Winter 2011 war das Kapitol in Madison wochenlang besetzt. Auf den verschneiten Straßen rundum fanden täglich Demonstrationen statt. Unter anderem war dort das Schild zu sehen: „Aufrecht gehen, wie ein Ägypter“. Und eine Gruppe von Walker-Gegnern trifft sich noch bis in dieses Frühjahr an jedem Mittag zu einerm Sing-Along von Gospels und Folks-Songs unter der Kuppel des Kapitols. Alle DemonstrantInnen zeigen Verständnis für Sparpläne. Aber niemand von ihnen akzeptiert, dass eine Kraft wie die Gewerkschaften mundtot gemacht wird.
Eineinhalb Jahre nach Walkers Frontalangriff hat die Opposition die „Rückruf“-Wahl organisiert, mit der sie den Governor heute vorzeitig aus dem Amt rufen will. Dazu hat sie eine Million Unterschriften gesammelt. Jede sechste Person in Wisconsin (Kinder mitgezählt) hat gegen Walker unterschrieben.
Doch auch die andere Seite blieb nicht untätig. Walkers Unterstützer aus der Republikanischen Partei und der Industrie sammelten eine Rekordsumme für einen Governor-Wahlkampf: 31 Millionen Dollar. Das meiste Geld kam aus anderen Bundesstaaten als Wisconsin. Manche Schecks für Walker waren auf eine halbe Million Dollar ausgestellt.
In Wisconsin darf ein Governor unbegrenzt viel Geld für seinen Wahlkampf ausgeben. Der anderen Seite hingegen sind die Hände finanziell gebunden. Sie darf nur Schecks in einer Höhe von maximal 10’000 Dollars annehmen. Während Walker dank seiner Millionen Wisconsin mit aggressiven Radio- und Fernsehspots flächendeckend beschallen konnte, musste die Gegenseite Türklinken putzen.
Meinungsumfragen kurz vor der Abruf-Wahl zeigen, dass Walker Chancen hat, seine „Abruf“-Wahl zu überleben. Sollte ihm das tatsächlich gelingen, hätte in Wisconsin Big Money gegen soziale Bewegung gesiegt. Und hätte Walker bewiesen, dass es in den USA des Jahres 2012 möglich ist, Gewerkschaften mundtot zu machen. Und könnten die republikanischen Governors in vielen anderen Bundesstaaten ihre bereits fertig geschriebenen Anti-Gewerkschafts-Gesetze aus der Schublade ziehen und Walkers Vorbild folgen.
Und obwohl Wisconsin in diesem Frühsommer nicht wie Spanien 1936 ist, müsste sich in Washington Barack Obama Sorgen machen.