Ein Thema, das bewegte: An der TagesWoche-«Mittendrin»-Veranstaltung zum Thema Feminismus fanden sich am Mittwochabend rund 100 Leute in der Kaserne ein, um mit Anne Wizorek und Yvonne Feri über Rollenklischees, Machtverhältnisse und den Blick über den eigenen Tellerrand zu diskutieren.
«Warum brauchen wir Feminismus?», fragte Anne Wizorek gestern Abend in den vollen Rossstall der Kaserne Basel. Um die 100 Leute waren gekommen, um sich die Meinung der deutschen Feministin und Erfinderin des Hashtags #aufschrei anzuhören.
Wizorek hatte sich zusammen mit der Aargauer Nationalrätin und Präsidentin der SP Frauen Schweiz, Yvonne Feri, in der Kaserne eingefunden, um über ein Thema zu sprechen, das ständig aktuell ist, aber selten genug zur Diskussion steht: Feminismus.
Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage gab Wizorek dann auch gleich selbst – vorgelesen aus ihrem kürzlich erschienen Buch «Weil ein #aufschrei nicht reicht»:
«Jetzt sind hoffentlich die ersten wütend», meinte Moderatorin Natascha Wey schmunzelnd und übergab das Wort Yvonne Feri, die Wizorek beipflichtete. «Ich habe einige Déjà-Vus wenn ich Anne Wizorek zuhöre. Da gibt es viele Beispiele. Wenn ich etwa darauf beharre, dass in einem Text die Sprache angepasst wird und die Frauen auch erwähnt werden, dann heisst es immer: Solange das immer wieder geschieht, haben wir die wirkliche Gleichstellung noch nicht erreicht. Das wäre für mich Feminismus: Wenn wir nicht darüber reden müssten, dass alle Geschlechter die gleichen Chancen haben.»
Damit hatte es die Politikerin auf den Punkt gebracht: Feminismus ist kein Thema, das sich schnell mal in ein paar Stunden abhandeln lässt. Es spielt in alle möglichen Lebenssituationen hinein, taucht immer wieder auf und verdient in den verschiedensten Bereichen Aufmerksamkeit. Dasselbe gilt für einen Bericht darüber, hier also der Versuch einer Gliederung: Der Abend in acht Schwerpunkten.
1. «Ihr provoziert es doch!»: Sexismus und sexualisierte Gewalt.
Es sei mehr als notwendig, Sexismus und sexualisierte Gewalt im Zusammenhang zu diskutieren, denn sexualisierte Gewalt sei ein Symptom einer sexistischen Gesellschaft, so Wizorek:
(Bild: Alexander Preobrajenski)
2. Einmal Strauss und Hui – Sexismus in der Werbung.
Anders bei der Gleichstellung, wo die Gesetzeslage in der Schweiz nicht so schlecht aussehe, sei bei Medien und Werbung noch einiges zu tun, meinte Feri:
3. Was es heisst, ein guter Verbündeter zu sein: Männer.
Männer dürfen in der Diskussion nicht fehlen («sonst heisst es wieder…»), meint Wizorek und startete in ihrem Buch einen Appell an die Männer und ihre Verantwortung gegenüber den Frauen:
Es fange bei der Selbstreflexion an, so Wizorek. Männer, die sensibler für diese Themen seien, denen falle es auch leichter, Ungerechtigkeit zu erkennen. Und zu merken: Feminismus ist ein Gewinn, für Frauen und für Männer.
4. «Sie werden beklatscht für etwas, was Frauen seit Jahren machen»: Männer in der Politik und als Vorbild.
Wie sieht diese Selbstreflexion der Männer in der Politik aus? Yvonne Feri:
Klar brauche es Vorbilder, aber nicht nur Frauen, sondern auch Männer, kam der Kommentar aus dem Publikum. «Das würde ich sofort unterschreiben», so Wizorek. «Aber schwierig wird es dann, wenn die Männer so tun, als wären sie die ersten mit ihrer Einstellung».
Yvonne Feri sah es genauso: «Es sind einfach ausschliesslich Männer, die aber mediale Plattformen bekommen, und das ist sehr schwierig, auch für junge Frauen, die Vorbilder brauchen.» Diese Vorbilder könnten auch ganz normale Hausfrauen sein, das Wichtigste sei dabei eine Vorbildfunktion ohne Stereotypisierung.
5. «Warum wählen Frauen keine Frauen?»: Solidarität unter Frauen.
Wie komme es, so eine Frage aus dem Publikum, dass Frauen, sobald ein neuer Mann am Horizont auftauche, oft aus dem Blickfeld entschwinden? Mangelnde Solidarität unter Frauen, meinte darauf Wizorek, beginne oftmals schon im Kleinen: Frauen, die über die Nachbarin lästern, die einen neuen Freund hat, oder junge Frauen, die sich ob der sexuellen Offenheit ihrer Freundinnen nerven. In solchen Situationen sei oftmals Neid im Spiel. Hier laute die Devise: «Akzeptiert andere Lebensentwürfe! Ich kann andere Frauen abfeiern und muss mich selber dabei nicht kleiner fühlen.»
Für Yvonne Feri ist fehlende Solidarität auch ein Problem in der Politik. Wenn sie in die Parlamente schaue, sässen da viele Männer, die von Frauen gewählt wurden. Wieso das so sei, wisse sie nicht, meinte sie und fügte hinzu: «Aber am 7. März gibt es die Möglichkeit, gemeinsam ein Zeichen für Solidarität zu setzen: An der Demo für Lohngleichheit.»
6. Feminismus ist Emanzipation, wo müssen sich die Frauen heute noch emanzipieren?
Anne Wizorek: «Die Frauen sollen es nicht allen Recht machen wollen. Sie sollen den Mut haben, unbequem zu sein.»
Yvonne Feri: «Die Frauen sollen ihre Rechte einfordern, überall wo sie sind. Und sie sollen aufschreien.»
7. Hass-Kommentare im Internet: Selbstschutz.
Im Internet trauten sich weit mehr Personen, sich zu schwierigen Themen zu äussern, so Feri. Trotzdem sei der Schritt, sich im realen Leben zu äussern, meist sehr schwer. «Klar. Aber gleichzeitig besprechen wir im Internet genauso reale Themen, die uns betreffen», entgegnete Wizorek, «wir erreichen viele Menschen und können durchs Netz politisieren.»
Was ihre feministische Analyse betreffend der Dating-App Tinder sei, bei der sich Menschen anhand von Bildern gegenseitig bewerten und meistens auch auf Dates treffen, fragte jemand aus dem Publikum. Wizorek sahs gelassen: «Frauen können bei Tinder eine gewisse Form von Selbstbestimmung verneinen und eine passive Rolle einnehmen. Wenn das bewusst geschieht, dann ist das doch wunderbar.» Sie selbst brauche die App aber nicht, schliesslich habe sie einen Freund.
Der Freund ist auch zuständig für Wizoreks E-Mail-Account. Die diversen Hasstiraden, die täglich in der Mailbox der jungen Aktivisten landen, werden so gezielt ignoriert.
Es brauche Strategien, um sich zu schützen, das sieht auch Yvonne Feri so. Auch die Mails der Nationalrätin werden erst vorsondiert, bevor sie sie beantwortet. Hass-Mails, so sind sich die Frauen einig, würden sie beide nicht lesen, das erhalte die geistige Gesundheit.
8. Feminismus in den Medien
Was können die Medien und die TagesWoche zur Debatte beitragen, fragte Redaktionsleiter Dani Winter zum Schluss. Die drei Frauen, inklusive Moderatorin Natascha Wey, waren sich einig: Mehr Frauen, nicht nur als Angestellte, sondern auch als Gesprächspartnerinnen und Expertinnen. Nicht nur in Geschlechterfragen.
Sie wolle Veränderung von Machtstrukturen, keinen reinen feministischen Debattierclub, schrieb Wizorek kurz vor der Erscheinung ihres Buches in einem Kommentar in der «Zeit». Aber am Anfang steht immer die Diskussion. «Warum brauchen wir Feminismus?», hatte Wizorek gefragt. Ihre Frage wurde an diesem Abend erfolgreich beantwortet.